Etwas konkreter zur Lage der Protestanten
Es gibt eine sehr witzige Szene im Film The Great Race von Blake Edwards, und zwar Jack Lemmon's Krönungsszene, witzig einzig kraft der Inszenierung, des Mannes mit dem langen weißen Bart, welcher ihm die Krone auf's Haupt setzt und dem dazu singenden Knabenchor.
Der Witz liegt natürlich in der Synchronizität dieser Veranstaltung mit dem anhaltenden Suffragettenprotest im Ausgangspunkt der Reise New York. Überhaupt scheint Blake Edwards immer dann am witzigsten gewesen zu sein, wenn es ihn Richtung Bayern verschlagen hat, wie man's auch an Peter Sellers' Oktoberfestbesuch sieht.
Der Grund dafür ist höchstwahrscheinlich, daß Blake Edwards in der kulturellen Geformtheit Bayerns und Österreichs ein Spiegelbild des Pompes um das englische Königshaus gesehen hat, und wie es bei diesen Dingen immer ist, stoßen einem die kleinen Abweichungen, welche sich bei derartigen Vergleichen zwangsläufig einstellen, als lächerlich auf, wie ich beispielsweise die niederländische Sprache als lächerlich empfinde und auch die estnische als lächerlich empfunden habe. Dies ist indes kein höhnisches Lachen, sondern ein verlegenes, man sieht zu deutlich, wessen man selbst schuldig ist.
Es gibt auch einen Beleg für diese These in The Great Race, nämlich die Stelle, wo sich Lemmon über die Zigeuner in den karpatischen Wäldern beschwert, welche mit allerlei Kunststücken ihr Geld verdienten, und Curtis ihm daraufhin vorschlägt, er möge doch einmal nach Indien reisen - der Witz hier, daß sich unabhängig von den eigenen Anstrengungen ganz ähnliche Verhältnisse eingestellt haben.
Mir geht es in diesem Beitrag aber um die Krönungsszene selbst, was hinter ihr steht, nämlich die Bereitschaft der Gesellschaft sich als moralisch richtig erkannten Ritual und Ordnung zu unterwerfen, welche in diesem Fall freilich etwas angejährt sind.
Dennoch ist die Unterwerfung weiterhin möglich, Augen werden zugedrückt und Aufgabenbereiche stillschweigend abgesteckt. Und wiederum geht es Edwards natürlich in erster Linie um die britische Parallele, welche mehr oder weniger zufällig nicht so wie die bairische endete.
Wesentlich für alle Republiken ist indes, daß ihnen an dieser Stelle ein Loch aufriß, welches sie entweder stopften oder es versäumten. Die Franzosen haben sich mit Napoléon einen Ersatzkönig geschaffen, welcher neue Rituale und Ordnungen als moralisch richtig etablierte, aber sie bilden damit die Ausnahme, denn gleiches läßt sich weder von den Vereinigten Staaten, noch etwa von Deutschland oder Österreich sagen, ja, selbst von der Schweiz nicht, auch wenn die Unterwerfung unter den Volksentscheid in mancherlei Hinsicht, insbesondere als Erfahrung gemeinschaftlichen Handelns, einen Ersatz darstellt.
Der Normalfall ist aber, daß die Bürger einer Republik keinen Rahmen haben, dessen Befolgung ihnen die Gewißheit vermitteln könnte, an der öffentlichen Sache teilzuhaben, und daß sie so gesehen weniger republikanisch als die Untertanen einer Monarchie sind, deren Rituale und Ordnung ja über den Weg der Bischofskonferenz letztlich vom Volk selbst ausgegangen sind.
Und darin liegt eine große Gefahr, nämlich die Gefahr der Überformung durch fremden Vorstellungen verpflichtete Rituale und Ordnungen.
Ich halte die protestantische Freiheit für keine inhärent schlechte Sache, auch wenn sich durch sie die Prophezeiung erfüllt, daß der Teufel für eine kleine Zeit losgelassen werden muß, denn diese Prophezeiung erfüllt sich* keineswegs nur durch sie, sondern im gleichen Maße durch das Bemühen, sie zu bekämpfen, aber sie hat die Pflicht das, was gestalten zu können, sie ausmacht, auch tatsächlich zu gestalten und es nicht nicht zur Rechenschaft ziehbaren Kräften zu überlassen.
Ein Protestant, welcher jene, welche die Form der Gesellschaft, in welcher er lebt, gestalten, nicht zur Rechenschaft zieht, hat das Recht verwirkt, sich als solcher zu bezeichnen.
Und umgekehrt ist selbstverständlich auch niemand, welcher die Form einer Gesellschaft gestaltet, ohne Rechenschaft zu geben, als solcher anzusehen.
Die Gestaltung der Form der Gesellschaft zu verhandeln, das ist der Protestantismus, welcher sich nicht dafür von Rom losgemacht hat, um sich an die Interessen unbelangbarer Körperschaften zu ketten.
Aber dazu muß die protestantische Ethik zunächst vom Kopf auf die Füße gestellt und ernst genommen werden, und anschließend müssen wir uns einen Rahmen geben, welcher unseren Überzeugungen Ausdruck verleiht.
Freilich sieht es auf den ersten Blick so aus, als schriebe ich diese Zeilen 250 Jahre zu spät, aber ich meine sie etwas anders, nicht als Aufruf zur Entfaltung des noch in uns schlummernden Idealismusses, sondern als bloße Organisationsnotwendigkeit in Zeiten der Unterdrückung, denn kein Mensch kann einen anderen Weg beschreiten als den, an welchen er glaubt.
Mit anderen Worten geht es nicht um feinverästelte Überzeugungen, sondern um rudimentäre. Ist die Lage derjenigen, welche sich mit einem bestehenden Rahmen identifizieren, etwa besser? Freilich, am besten sind diejenigen aufgestellt, deren Glaube auf den Anfang selber geht, aber wer auf die Verantwortlichkeit seiner Brüder vertrauen kann, ist Teil eines Kollektivs, welches alles, was es aufnimmt, zum besten Nutzen verwendet, und somit Bewohner einer Insel, welche sich schon bald mit neuem Leben füllen wird.
* die Zyklizität der tausend heiligen und unheiligen Jahre vorausgesetzt
Der Witz liegt natürlich in der Synchronizität dieser Veranstaltung mit dem anhaltenden Suffragettenprotest im Ausgangspunkt der Reise New York. Überhaupt scheint Blake Edwards immer dann am witzigsten gewesen zu sein, wenn es ihn Richtung Bayern verschlagen hat, wie man's auch an Peter Sellers' Oktoberfestbesuch sieht.
Der Grund dafür ist höchstwahrscheinlich, daß Blake Edwards in der kulturellen Geformtheit Bayerns und Österreichs ein Spiegelbild des Pompes um das englische Königshaus gesehen hat, und wie es bei diesen Dingen immer ist, stoßen einem die kleinen Abweichungen, welche sich bei derartigen Vergleichen zwangsläufig einstellen, als lächerlich auf, wie ich beispielsweise die niederländische Sprache als lächerlich empfinde und auch die estnische als lächerlich empfunden habe. Dies ist indes kein höhnisches Lachen, sondern ein verlegenes, man sieht zu deutlich, wessen man selbst schuldig ist.
Es gibt auch einen Beleg für diese These in The Great Race, nämlich die Stelle, wo sich Lemmon über die Zigeuner in den karpatischen Wäldern beschwert, welche mit allerlei Kunststücken ihr Geld verdienten, und Curtis ihm daraufhin vorschlägt, er möge doch einmal nach Indien reisen - der Witz hier, daß sich unabhängig von den eigenen Anstrengungen ganz ähnliche Verhältnisse eingestellt haben.
Mir geht es in diesem Beitrag aber um die Krönungsszene selbst, was hinter ihr steht, nämlich die Bereitschaft der Gesellschaft sich als moralisch richtig erkannten Ritual und Ordnung zu unterwerfen, welche in diesem Fall freilich etwas angejährt sind.
Dennoch ist die Unterwerfung weiterhin möglich, Augen werden zugedrückt und Aufgabenbereiche stillschweigend abgesteckt. Und wiederum geht es Edwards natürlich in erster Linie um die britische Parallele, welche mehr oder weniger zufällig nicht so wie die bairische endete.
Wesentlich für alle Republiken ist indes, daß ihnen an dieser Stelle ein Loch aufriß, welches sie entweder stopften oder es versäumten. Die Franzosen haben sich mit Napoléon einen Ersatzkönig geschaffen, welcher neue Rituale und Ordnungen als moralisch richtig etablierte, aber sie bilden damit die Ausnahme, denn gleiches läßt sich weder von den Vereinigten Staaten, noch etwa von Deutschland oder Österreich sagen, ja, selbst von der Schweiz nicht, auch wenn die Unterwerfung unter den Volksentscheid in mancherlei Hinsicht, insbesondere als Erfahrung gemeinschaftlichen Handelns, einen Ersatz darstellt.
Der Normalfall ist aber, daß die Bürger einer Republik keinen Rahmen haben, dessen Befolgung ihnen die Gewißheit vermitteln könnte, an der öffentlichen Sache teilzuhaben, und daß sie so gesehen weniger republikanisch als die Untertanen einer Monarchie sind, deren Rituale und Ordnung ja über den Weg der Bischofskonferenz letztlich vom Volk selbst ausgegangen sind.
Und darin liegt eine große Gefahr, nämlich die Gefahr der Überformung durch fremden Vorstellungen verpflichtete Rituale und Ordnungen.
Ich halte die protestantische Freiheit für keine inhärent schlechte Sache, auch wenn sich durch sie die Prophezeiung erfüllt, daß der Teufel für eine kleine Zeit losgelassen werden muß, denn diese Prophezeiung erfüllt sich* keineswegs nur durch sie, sondern im gleichen Maße durch das Bemühen, sie zu bekämpfen, aber sie hat die Pflicht das, was gestalten zu können, sie ausmacht, auch tatsächlich zu gestalten und es nicht nicht zur Rechenschaft ziehbaren Kräften zu überlassen.
Ein Protestant, welcher jene, welche die Form der Gesellschaft, in welcher er lebt, gestalten, nicht zur Rechenschaft zieht, hat das Recht verwirkt, sich als solcher zu bezeichnen.
Und umgekehrt ist selbstverständlich auch niemand, welcher die Form einer Gesellschaft gestaltet, ohne Rechenschaft zu geben, als solcher anzusehen.
Die Gestaltung der Form der Gesellschaft zu verhandeln, das ist der Protestantismus, welcher sich nicht dafür von Rom losgemacht hat, um sich an die Interessen unbelangbarer Körperschaften zu ketten.
Aber dazu muß die protestantische Ethik zunächst vom Kopf auf die Füße gestellt und ernst genommen werden, und anschließend müssen wir uns einen Rahmen geben, welcher unseren Überzeugungen Ausdruck verleiht.
Freilich sieht es auf den ersten Blick so aus, als schriebe ich diese Zeilen 250 Jahre zu spät, aber ich meine sie etwas anders, nicht als Aufruf zur Entfaltung des noch in uns schlummernden Idealismusses, sondern als bloße Organisationsnotwendigkeit in Zeiten der Unterdrückung, denn kein Mensch kann einen anderen Weg beschreiten als den, an welchen er glaubt.
Mit anderen Worten geht es nicht um feinverästelte Überzeugungen, sondern um rudimentäre. Ist die Lage derjenigen, welche sich mit einem bestehenden Rahmen identifizieren, etwa besser? Freilich, am besten sind diejenigen aufgestellt, deren Glaube auf den Anfang selber geht, aber wer auf die Verantwortlichkeit seiner Brüder vertrauen kann, ist Teil eines Kollektivs, welches alles, was es aufnimmt, zum besten Nutzen verwendet, und somit Bewohner einer Insel, welche sich schon bald mit neuem Leben füllen wird.
* die Zyklizität der tausend heiligen und unheiligen Jahre vorausgesetzt
Labels: 17, formalisierung, geschichte, gesellschaftsentwurf, gesetze, institutionen, zeitgeschichte, ἰδέα, φιλοσοφία