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22. Mai 2017

Noch einmal zu μονογενὴς

Ich bleibe dabei, daß μονογενὴς ganz wörtlich durch eine Art zu verstehen ist, und daß sich jeder Gebrauch des Wortes aus dieser Grundbedeutung heraus ableitet.

Beispielsweise die Stelle bei Hesiodos über Hekate. Hekate ist Asterias Tochter, und Asteria ist eine Titanide. Doch dessen ungeachtet wird Hekate von Zeus nicht herabgesetzt, das heißt, obwohl sie einer Art mit ihrer Mutter ist, und nicht, obwohl sie das einzige Kind ihrer Mutter ist.

Letztere Lesart ist bescheuert, und mit Verlaub, es gibt keinen Grund anzunehmen, daß Hesiodos bescheuert war.

Die zweite Stelle bei Hesiodos und die Stelle in Platons Nomoi erklären geradezu, warum μονογενὴς auch in der Bedeutung des einzigen Geborenen verwendet wird, nämlich weil nur, wenn sich die Linie nicht verzweigt, die Art eine bleibt (und der Besitz auch).

Dieses Argument gilt selbstverständlich nicht für Gottes Kinder, da der Geist nichts an seiner Potenz einbüßt, und auch seine Art nicht ändert, wenn er geteilt wird.

In dem Sinne ist Johannes 1:14 zu verstehen, die eine Art vom Vater, voller Gnade und Wahrheit, dies ist die eine Art zu aller Zeit, und sie ändert ihr Wesen nicht dadurch, daß sie geteilt wird - im Gegensatz freilich zum Blut, das, wenn es geteilt wird, unterschiedliche Familienzweige erzeugt.

Und was den Himmel in Platons Timaios angeht, Proklos' Argument fußt just auf dem, was ich gerade geschrieben habe, nämlich daß der Geist von einer Art ist, und wenn der Himmel sein Spiegel sein soll, dann muß er es auch sein.

Und dasselbe meint Parmenides an seiner offensichtlich unverstandenen Stelle.

Was bedeutet einartig also?, um diesen Begriff hier doch noch einzuführen, weil sonst doch niemand begreift, wo er fehlgeht.

Es bedeutet unwandelbar und homogen, um einen offensichtlich verwandten Begriff zu bemühen, ununterteilt, seine Gänze in jedem Teil besitzend und nichts von ihr abgebend und nichts zu ihr hinzufügend, und deshalb folgert Parmenides aus μονογενὴς die Unzerstörbarkeit.

Und ebenso Hesiodos in Bezug auf den ungeteilten Besitz: eine einartige Dynastie, eine einartige Vererbung, ein unzerstörbares Gut.

Ich plädiere freilich nicht dafür, in Luthers Übersetzung eingeboren durch einartig zu ersetzen. Die Stunde ist zu spät, um die deutsche Sprache auf diese Weise zu erweitern, ja, sie war es, wie der hier vorliegende Fall bereits beweist, schon zu Luthers Zeiten. Ich bin mit meiner Übersetzung von Johannes 1:14 völlig zufrieden, mit meinem Vorschlag für Johannes 3:16 allerdings nicht ganz, wahrscheinlich ist es besser, dort vom
den Sein Geschlecht begründenden Sohn
zu sprechen. Bleibt Johannes 1:18, was im Ton unverhohlener Bewunderung zu lesen ist und mir freilich etwas zu pathetisch, doch Worte und Sinn stimmen:
Niemand hat Gott je gesehen: Der Gott der einen Art, der in des Vaters Schoß ist, er hat ihn verdeutlicht.
Leuten, welche nicht über Buchstaben hinaus denken können, sollte man stattdessen vielleicht lieber vom einartig beseelten Göttlichen erzählen, aber die Evangelien provozieren an vielen Stellen. Dennoch, es besteht ein Unterschied zwischen Provokation und Verdrehung.

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