Grillen
Nicht nur der autoritäre Mensch reift heran, wie im Beitrag Die grundlegende Vierfaltigkeit der Daseinsauffassung beschrieben, sondern auch der sich der Lust, Achtung oder Sorge verschrieben habende, also auch die Erregten, Fordernden und Gestimmten, nur daß sie anfangs nicht verspielt sind, sondern grillenhaft.
Die Tatsache, daß der Begriff der Grille im Laufe der letzten 200 Jahre fast vollständig aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden ist, wohlgemerkt der Begriff, nicht bloß das Wort, verdeutlicht wie kaum eine andere Tatsache die Zerstörung, um nicht zu sagen Ausrottung, von Individualismus, Liberalität und Bürgerlichkeit in Deutschland.
Klonovsky ging ja jüngst durch ein Museum, wie er uns am 1. Mai wissen ließ, und beschreibt also seine Begeisterung für die Werke der niederländischen Maler. Aber ich frage mich ernsthaft, ob Klonovsky auch nur einmal in seinem Leben an die Auftraggeber dieser Werke gedacht hat, an das gesellschaftliche Klima, in welchem sich reiche Bürger Maler bestellten, um ihrer Frivolität die Jahrhunderte überdauernden Ausdruck zu verleihen.
Der Komponist braucht den Hof, an dem er wirkt, wenn er nicht ständig wie Beethoven oder Wagner die große Trommel rühren will, um sein Publikum in die Konzerthäuser zu locken. Der Maler hingegen kann seine Arbeit für einen Kunden verrichten.
Aber nur weil er es kann, bedeutet es noch lange nicht, daß auch jemand seine Dienste will. Alles, was an Kunstgütern auf uns gekommen ist, verdankt sein Bestehen den Aufwendungen derer, welche es zu ihrer Zeit schätzten, einer großen Großzügigkeit gegenüber dem Schönen.
Narren alle, welche der Welt gaben, weil sie wähnten, frei und verantwortungstragend unter den Augen des Allmächtigen zu leben.
Doch damit genug der Abwatschung des Rädchens im besten Getriebe aller Zeiten - wo der Mensch sich über die gottgegebenen Zuständigkeiten anderer stellt, da wächst kein Gras mehr. Wahrlich, es ist die Bescheidenheit des eigenen Strebens nach dem Guten, welche ihm Größe verleiht: Der Raum, den du als Oberer nicht betrittst, steht Untergebenen tausendfach frei.
In der Grille also zeigt sich der sich regende Schaffenstrieb des sich verschrieben Habenden, welcher schnurstracks vor allem Verantwortungsvollen Reißaus nimmt, und sich auf eben dieselbe, also eine an sich gute, aber einstweilen völlig unnötige Sache verlegt.
Es ist mehr als zweifelhaft, ob es Menschen gibt, welche an ihren Grillen wachsen, denn die vollkommenste Stümperhaftigkeit zeigt sich noch jedes Mal: Wir beginnen den Bau einer Kathedrale, ohne daß wir irgendwelche Steine hätten, und so rollen die aufgelesenen Kiesel stets von neuem über einander.
Mit anderen Worten lehrt uns die Grille lediglich, was uns fehlt, welche Qualitäten die Dinge, welche wir handhaben, gewinnen müssen, damit wir aus ihnen einmal etwas uns'rem Triebe nach bilden können.
Die Vergeblichkeit des grillenhaften Bemühens wird dabei auf die Dauer selbst für den jungen Menschen zu einer Qual, so daß er in bestimmten Abständen zu Ritualen der einfachsten Ordnung Zuflucht nimmt, sein Zimmer aufräumt, oder wie ich es gerne tat, sich die passendsten Begriffe für eine handvoll Dinge zurechtlegt.
Indes, in der Grille zeigt sich zugleich auch große Initiative, und manches Problem verlangt Initiative. Im mich verschrieben habenden Alter halte ich mich vorzugsweise an das Gebotene. Vor drei Tagen ging ich am Strand spazieren, und sprang sozusagen über einen Priel, welcher zwischen zwei Sandhalbinseln lag, vielleicht vier Zentimeter tief und zwei Meter breit, und als ich es tat, zerrissen die Wolken über mir über einer Länge von ein paar Kilometern.
Die jüngst begonnene Klassifikation aller Dinge kostete mich große Überwindung, wohl wissend, daß so ein Katalog sehr wohl geboten, aber nicht ohne überbordende Initiative zu bewerkstelligen ist. Nicht, daß ich vergessen hätte, in welchem Geist ein solches Werk zu beginnen ist. Ja, noch nicht einmal, daß ich bewußt sein Scheitern gefürchtet hätte, welches sich dieses Mal glücklicherweise nicht einstellte: mittlerweile habe ich einmal die Begriffe Armee, Polizei, Vertrag und Gesetz gegen diese Klassifikation gehalten, und es scheint hinreichend klar, wie sie zu verfeinern ist, um ihnen Genüge zu leisten. Nein, es ist schlicht die Angst, welche in allen Dingen steckt, welche die Natur uns drängt, hinter uns zu lassen, welcher ich lieber nicht wieder begegnet wäre.
Ich denke schon, daß noch so mancher seine Grillen hat, aber niemand redet mehr so freimütig über sie wie vor 200 Jahren. Und was mehr ist: Niemand nimmt sie mehr als interessanten Gegenstand in anderen wahr. Ich weiß schon, wen ich zeihe, wenn ich euch zeihe.
Die Tatsache, daß der Begriff der Grille im Laufe der letzten 200 Jahre fast vollständig aus dem öffentlichen Bewußtsein verschwunden ist, wohlgemerkt der Begriff, nicht bloß das Wort, verdeutlicht wie kaum eine andere Tatsache die Zerstörung, um nicht zu sagen Ausrottung, von Individualismus, Liberalität und Bürgerlichkeit in Deutschland.
Klonovsky ging ja jüngst durch ein Museum, wie er uns am 1. Mai wissen ließ, und beschreibt also seine Begeisterung für die Werke der niederländischen Maler. Aber ich frage mich ernsthaft, ob Klonovsky auch nur einmal in seinem Leben an die Auftraggeber dieser Werke gedacht hat, an das gesellschaftliche Klima, in welchem sich reiche Bürger Maler bestellten, um ihrer Frivolität die Jahrhunderte überdauernden Ausdruck zu verleihen.
Der Komponist braucht den Hof, an dem er wirkt, wenn er nicht ständig wie Beethoven oder Wagner die große Trommel rühren will, um sein Publikum in die Konzerthäuser zu locken. Der Maler hingegen kann seine Arbeit für einen Kunden verrichten.
Aber nur weil er es kann, bedeutet es noch lange nicht, daß auch jemand seine Dienste will. Alles, was an Kunstgütern auf uns gekommen ist, verdankt sein Bestehen den Aufwendungen derer, welche es zu ihrer Zeit schätzten, einer großen Großzügigkeit gegenüber dem Schönen.
Narren alle, welche der Welt gaben, weil sie wähnten, frei und verantwortungstragend unter den Augen des Allmächtigen zu leben.
Doch damit genug der Abwatschung des Rädchens im besten Getriebe aller Zeiten - wo der Mensch sich über die gottgegebenen Zuständigkeiten anderer stellt, da wächst kein Gras mehr. Wahrlich, es ist die Bescheidenheit des eigenen Strebens nach dem Guten, welche ihm Größe verleiht: Der Raum, den du als Oberer nicht betrittst, steht Untergebenen tausendfach frei.
In der Grille also zeigt sich der sich regende Schaffenstrieb des sich verschrieben Habenden, welcher schnurstracks vor allem Verantwortungsvollen Reißaus nimmt, und sich auf eben dieselbe, also eine an sich gute, aber einstweilen völlig unnötige Sache verlegt.
Es ist mehr als zweifelhaft, ob es Menschen gibt, welche an ihren Grillen wachsen, denn die vollkommenste Stümperhaftigkeit zeigt sich noch jedes Mal: Wir beginnen den Bau einer Kathedrale, ohne daß wir irgendwelche Steine hätten, und so rollen die aufgelesenen Kiesel stets von neuem über einander.
Mit anderen Worten lehrt uns die Grille lediglich, was uns fehlt, welche Qualitäten die Dinge, welche wir handhaben, gewinnen müssen, damit wir aus ihnen einmal etwas uns'rem Triebe nach bilden können.
Die Vergeblichkeit des grillenhaften Bemühens wird dabei auf die Dauer selbst für den jungen Menschen zu einer Qual, so daß er in bestimmten Abständen zu Ritualen der einfachsten Ordnung Zuflucht nimmt, sein Zimmer aufräumt, oder wie ich es gerne tat, sich die passendsten Begriffe für eine handvoll Dinge zurechtlegt.
Indes, in der Grille zeigt sich zugleich auch große Initiative, und manches Problem verlangt Initiative. Im mich verschrieben habenden Alter halte ich mich vorzugsweise an das Gebotene. Vor drei Tagen ging ich am Strand spazieren, und sprang sozusagen über einen Priel, welcher zwischen zwei Sandhalbinseln lag, vielleicht vier Zentimeter tief und zwei Meter breit, und als ich es tat, zerrissen die Wolken über mir über einer Länge von ein paar Kilometern.
Die jüngst begonnene Klassifikation aller Dinge kostete mich große Überwindung, wohl wissend, daß so ein Katalog sehr wohl geboten, aber nicht ohne überbordende Initiative zu bewerkstelligen ist. Nicht, daß ich vergessen hätte, in welchem Geist ein solches Werk zu beginnen ist. Ja, noch nicht einmal, daß ich bewußt sein Scheitern gefürchtet hätte, welches sich dieses Mal glücklicherweise nicht einstellte: mittlerweile habe ich einmal die Begriffe Armee, Polizei, Vertrag und Gesetz gegen diese Klassifikation gehalten, und es scheint hinreichend klar, wie sie zu verfeinern ist, um ihnen Genüge zu leisten. Nein, es ist schlicht die Angst, welche in allen Dingen steckt, welche die Natur uns drängt, hinter uns zu lassen, welcher ich lieber nicht wieder begegnet wäre.
Ich denke schon, daß noch so mancher seine Grillen hat, aber niemand redet mehr so freimütig über sie wie vor 200 Jahren. Und was mehr ist: Niemand nimmt sie mehr als interessanten Gegenstand in anderen wahr. Ich weiß schon, wen ich zeihe, wenn ich euch zeihe.
Labels: 21, charaktere, formalisierung, formalismus, geschichte, gesellschaftsentwurf, gesellschaftskritik, gesetze, institutionen, psychologie, sehhilfen, wahrnehmungen, zeitgeschichte, ἰδέα, φιλοσοφία