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19. November 2018

Johannes Ülo Keskküla

Ich habe gerade gesehen, daß der Priester, welcher mich mit meiner Frau verheiratet hat, vor bald neun Jahren verstarb. Am Tag zuvor schrieb ich diesen Beitrag: Kein schöner Schlußpunkt, unziemlich und beliebig, mit der mitleidslosen Feststellung, moderne, das heißt nicht älter als 30 000 Jahre alte, Gesellschaften müßten von Albert Einsteins Geistes- und Geistigenhorizontsgenossen gelenkt werden, was dann wohl doch etwas zynisch ist, wiewohl am Ende vielleicht noch nicht einmal ganz falsch, jedenfalls in der dritten Phase des Glaubenszykels, also jetzt wieder seit ungefähr 1744.

Gestiftet wird der Glaube durch die engagierten Gestimmten des gläubigen Horizonts, abgesegnet von den reflektierten Gestimmten der gleichen Art, ausgebaut von den engagierten Fordernden des gläubigen und philosophischen Horizonts, wiederum abgesegnet von den reflektierten Fordernden der gleichen Art, und schließlich fällt er in die Hände der Rothschilds, deren Namen ich 2009 noch nicht einmal kannte, wiewohl ich ihn bereits etliche Male in James Bond-Filmen gehört haben mußte.

Da war ich also an jenem Tag, denke ich jedenfalls, denn ganz zweifelsfrei kann ich meine damalige Terminologie nicht mehr entschlüsseln, da sie aus der Zeit vor der Trennung von Geist und Gesinnung stammt, also alle Fordernden engagiert annimmt und alle Gestimmten reflektiert. Auch hieß damals so ziemlich alles anders, philosophisch ordnungsliebend, gläubig ursprünglich, engagiert heroisch und reflektiert philosophisch - auch nicht wirklich schlechter.

Seit bald neun Jahren tot, nicht einmal 60 Jahre alt geworden. Ich hatte ihn zuletzt in der Sauna in Tartu getroffen. Und immer wenn ich da bin, habe ich nach ihm Ausschau gehalten. Die Welt ist wirklich nicht das, für was wir sie halten. Etwas schien einem Gespräch im Wege zu stehen, ich beschloß voll Zuversicht auf einen Wink des Schicksals zu warten. Nun denn, wenigstens hatte ich noch einen Weg zu geh'n in dieser Zeit. Am Ende freilich sind wir alle tot und hoffentlich damit im Reinen. Komisch, wie uns unsere Unfertigkeit wie Leitplanken leitet, selbst nachdem sie ihr Ziel verlor. Und jetzt bin ich um eine weitere ärmer, neue kommen irgendwann ja nicht mehr hinzu.

Aber habe ich es geschafft? Kann ich den Schriftgläubigen ertragen? Denn es ist Eines, an Gott zu glauben, und ein Anderes, die Schrift als seine Botschaft zu verehren.

Ich kann es wohl bejahen, doch zu welchen Gesprächen sollte das noch führen? Schön hier. - Ja. ist doch nichts Rechtes, vielleicht Was hebt den Ungeist auf und was ersetzt ihn? Wo sind wir fehlgegangen? Was haben wir verkannt, welch Willkür in die Welt gesetzt? Wie entdecken wir das Rechte, erhalten's und erweitern's? Woran zerbricht Gewohnheit und Verblendung?, doch hätte ihn das interessiert? Nah ist allen Priestern die Verfehlung der Menschen, und auch bei mir wäre er fündig geworden, wiewohl vor allem in Folge meiner Abgemessenheit in allen Dingen, die's auch ist, welche mich Priestern gegenüber bald verstummen läßt.

Was soll ich Überflüss'ges tun? Mein Herz ist leicht bewegt, ich muß ihm folgen, nur versteh'n die Wenigsten auf welchen Bahn'n:
Wer ein Stück komponiert, ist von einer Idee ergriffen, welcher er Form gibt. Doch wer hundert Stücke komponiert, verfolgt einen weit entlegenen Begriff seiner selbst.

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