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8. Januar 2019

Sinn als Wertersatz beim Erwägen

Jeder bewußten Entscheidung zu einer Handlung liegt eine Erwägung zu Grunde, aber wir erwägen dabei auf zwei verschiedene Weisen, wodurch uns oftmals Zwiespalt entsteht und manches Mal auch Grund zur Reue:
  1. auf der Sinnebene und
  2. auf der Wertebene,
mit anderen Worten fragen wir uns stets, welchen Sinn etwas hat oder haben könnte und zugleich welchen Wert es für uns hat, wobei die erste Ebene der Verfolgung von Vorsätzen dient und die zweite Ebene der Einbeziehung der sich enthüllenden Gegenwart.

Um ein alltägliches Beispiel anzugeben sei auf einen Besuch im Spielzeugladen verwiesen, bei welchem wir uns vorgenommen haben, einen bestimmten Legobaukasten für unser Kind einzukaufen, weil wir der Meinung waren, daß er ihm gefallen würde, und nun sehen wir den Legobaukasten im Regal und gleich neben ihm einen, von welchem wir meinen, daß er unserem Kind gewiß noch viel mehr gefallen würde. In dieser Lage ist es nicht unüblich, daß wir dessen ungeachtet dennoch den Baukasten nehmen, welchen wir zuerst ins Auge gefaßt haben, und zwar deshalb, weil sich mit ihm der Sinn verbindet, unsere Geschäfte erledigt zu haben. Zwar hätten wir auch den anderen nehmen können, wenn wir unserem Wertempfinden gefolgt wären oder uns Zeit gegeben hätten uns zu besinnen, daß auch der andere Kasten den Zweck unseres Einkaufs erfüllt hätte und seine Wahl somit sinnvoll gewesen wäre, doch tun wir beides oft genug nicht und möchten uns deshalb hinterher so manches Mal in den Hintern beißen.

Ein anderes Beispiel ist selbstverständlich durch Vernunft- und Liebesheirat gegeben.

Aber es geht bei diesem Gegensatz nicht bloß darum, daß etwas besser als das Erwartete sein kann, denn Sinn ist eine hochgradig flexible Kategorie, und kann selbst den übelsten Ereignissen angeheftet werden, beispielsweise indem auf die Bedeutung des Zweiten Weltkriegs für die Entwicklung der Atomkraft verwiesen wird. Mit anderen Worten mag es gut sein, daß uns etwas Schlechtes als sinnlos erscheint und seine absolut fürchterliche Alternative doch als wenigstens potentiell sinnvoll, sagen wir, daß wir ein Loch im Zahn haben und darin keinen Sinn erkennen können, wohingegen es uns leichter fiele, einen Sinn in einem Hirntumor zu erblicken, welcher uns noch zwei Wochen zu leben ließe, aus welchem Grunde wohl auch die meisten Selbstmorde verübt werden.

Es ist also ein Gebot der Lebensweisheit, der Sinnebene nicht zu viel Gewalt über die Wertebene zu geben und insbesondere in widersprüchlichen Lebenslagen auf Tuchfühlung mit der Wertebene zu bleiben, um auf etwaige Hinweise, welche uns den Weg aus unserer Lage weisen, reagieren zu können. Freilich, dies ist leichter gesagt als getan, und praktisch sind einmal erkannte Werturteile, welche wir uns zu Gesetzen machen, um der allzu großen Kühnheit der Sinnfindung Grenzen zu setzen, von der größten Bedeutung, um dem Unheil des unbesonnenen Strebens nach Sinn zu entkommen.

Andererseits erleichtert der Sinn selbstverständlich unsere Handlungsplanung, weil wir etliche Situationen vorwegnehmen können. Würden wir nur unserem Wertempfinden folgen, glichen wir Pflanzen mehr als Tieren. Mit anderen Worten müssen wir auch bei letzteren denselben Zwiespalt zwischen Sinn- und Wertebene annehmen wie bei uns, wobei Tiere allerdings nur unbewußt erkannte Ablaufsmuster auf der Sinnebene befolgen, aber das kennen wir ja auch, wenn wir uns einmal dabei erwischen, ins Leere zu antizipieren, vulgo: Was mache ich hier eigentlich?

Entwicklungsgeschichtlich gesehen hat der Mensch die Sinnebene also um bewußte Ablaufsregeln erweitert und sich dadurch in erhebliche ethische Gefahr gebracht, weshalb Sünden auch vergeben werden.

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