Die emotionalen Stationen der Rienzi Ouvertüre
- Schönheit
- Verwüstung
- Liebe
- Trauer
- Grausame Entschlossenheit
- Wogen der beiden während des Aufraffens
- Triumph
- Ausgelassene Freude
- Frivole Beschwingtheit
- Hohler Stolz
- Selbstvergessenes Verderben
- Erschrockene Rückbesinnung
- Sieg
- Geordnete Freude
- Geordnetes Gedenken
- Disziplinierende Erinnerung Rienzis Untergang
Diese Fehlinterpretation ergibt sich auf natürliche Weise aus der im vorigen Beitrag behandelten Haltungsaufnahme der Deutschen. Und Anfang des 20. Jahrhunderts war aus der romantisierenden Beschreibung ein Rezept geworden, welches, wie die ihm zugrunde liegende Haltungsaufnahme, für unbewährte Haltungen anfällig war.
Das Fehlen einer Bewährungsprobe ist auch der Grund, warum Lehren verfälscht werden: Der Schüler hält Teile der Lehre seines Lehreres für überzeugend und gedenkt ihre Überzeugungskraft zu stehlen, um sie für seine eigenen Lehren einzuspannen. Natürlich ist jeder frei, von jedem zu lernen, was ihm einleuchtet, doch würde es der Schüler nicht wagen, seine eigenen Lehren zu substituieren, wenn sich seine Haltung bewähren müßte.
Wagner selbst hat sich als Komponist bewährt, als Gesellschaftsphilosoph zeigt er immerhin Talent, das Problem besteht darin, daß bei unserer gesellschaftlichen Verfaßtheit jeder Berühmtheit, welche sich einigermaßen konsistent zu einem Thema äußert, eine völlig übertriebene Autorität zukommt, da eine Prüfung von Haltungen nicht stattfindet, wozu natürlich auch der Glaube an Universalgenies gehört.
Hitler hat durch seinen Untergang einen durchaus substantiellen Teil des deutschen Volks diszipliniert, aber nur hinsichtlich seines Vabanquespiels, nicht hinsichtlich der unkritischen Aufnahme unbewährter Haltungen, wiewohl unabhängig vom in der Rienzi Ouvertüre beschriebenen Mechanismus, welcher in Deutschland den machtbewußten Teil der Bevölkerung betrifft, theoretisch aber auch andere, etwa den lebensreformatorischen, betreffen könnte, vorausgesetzt, daß sie glauben könnten, daß es Hitler um ihr Anliegen ging, in Deutschland eine grundsätzlich ablehnende Haltung gegenüber großen Plänen eingezogen ist, welche sich indes langsam in Luft auflöst.
Würden wir unseren Blick aber von einzelnen Gestalten abwenden und das Ganze unserer Geschichte betrachten, so sähen wir eine ganze Reihe von Rienzis, welche im Vertrauen auf die prinzipielle Überlegenheit eines Konzepts über das geschichtlich Gewachsene nicht die nötige Disziplin aufbringen, es hinreichend auf die Bewährungsprobe zu stellen.
Ich selbst verweigere mich einstweilen im Bewußtsein, daß eine solche kritische Prüfung nicht abzusehen ist, wie Schopenhauer (und Jesus Christus...) der bequemen Vereinnahmung.
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