Bereitschaftsbeitrag

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26. Januar 2024

Die Dialektik des Sozialverhaltens

Angeregt durch den vorigen Beitrag möchte ich einen neuerlichen Blick auf die unternehmerischen Interessen werfen.

Ein Mensch betrachtet die Welt entweder als durch sich selbst-, fremd- oder unbestimmt. Selbstbestimmt kann sie dabei auf der ideellen und funktionalen Ebene oder nur auf der letzteren sein. Ist ersteres der Fall, so ist die Selbstbestimmtheit eine konzeptuale, das heißt gesellschaftliche Entwürfe können entworfen und realisiert werden, ist letzteres der Fall, so ist sie lediglich eine integrative, das heißt, daß die Möglichkeit besteht, sich selbstbestimmt in die bestehende gesellschaftliche Organisation einzufinden.

Natürlich kann man die integrative Selbstbestimmtheit dabei nur dann als solche empfinden, wenn es keine grundsätzlichen ideellen Einwände gegen die bestehende gesellschaftliche Organisation gibt. Konzeptuale Selbstbestimmung bedeutet aber Koordination und umgekehrt, und integrative Selbstbestimmung bedeutet Delegation und umgekehrt. Das Unternehmen wird dabei bei der Koordinationsstiftung vom Stifter, wie im vorigen Beitrag gesehen, lanciert, und der Reagierende nimmt es auf, indem er fortführt, einbezieht oder sich erwehrt, während es bei der Delegation der Reagierende ist, welcher seine Bereitschaft, das entsprechende Unternehmen aufzunehmen, signalisiert. Die Koordination beruht auf gemeinschaftlicher Bildung,
  • Zusammenarbeit auf gemeinsamer Erfahrung,
  • Verbündung auf gemeinsamer Haltung und
  • Zusagen auf gemeinsamen Vorhaben,
und die Delegation beruht auf individuell verschiedener, nämlich
  • größerer Erfahrenheit des Herren gegenüber dem Diener,
  • besserer Haltung des Prüfers gegenüber dem Kandidaten und
  • erfolgversprechenderen Vorhaben des Auftraggebers gegenüber dem Auftragnehmer.
Romanische Kulturen weisen deutlich geringere (lebendige) konzeptuale Selbstbestimmtheit auf als die übrigen indogermanischen, oder identifizieren sich, anders ausgedrückt, deutlich stärker mit ihrer integrativen; in Skandinavien, etwa, liegt der Schwerpunkt umgekehrt bei der konzeptualen. Es gibt aber natürlich auch den Fall, daß das Imperium Romanum, welches die katholische Kirche geschaffen hat, nicht nach protestantischem Gusto verfeinert wird, sondern als fremdbestimmt empfunden, insbesondere in den Vereinigten Staaten von Amerika, wiewohl den Betroffenen dieser Umstand zumeist völlig unbewußt ist.

Wird die Welt nämlich als fremdbestimmt empfunden, und sei es auch nur unbewußt, so äußert sich dies darin, daß dem Sozialverhalten nicht mehr an besonderen Unternehmen gelegen ist, welche es zu koordinieren oder delegieren gilt, sondern nur noch daran, die Fähigkeit, etwas zu unternehmen, unter Beweis zu stellen, um sich dessen zu vergewissern, daß man es schaffen wird, sich durchzuschlagen (The land of the free - to shape a hellscape - and the home of the brave - who manage to survive in it: Die innerste Überzeugung von viel mehr Amerikanern, als es ihre patriotische Anhänglichkeit vermuten ließe, schon 1986, als ich zum ersten Mal da war.) Es macht beim unter Beweis Stellen allerdings einen Unterschied, ob es sich um die Verkörperung handelt oder um Spiel oder Routine, denn während Spiel oder Routine zu diesem Zweck beliebig gewählt werden, verkörpert man selbstverständlich seinen eigenen Glauben.

Das Problem der rein integrativen Selbstbestimmtheit, wie sie der katholischen Kirche seit jeher vorschwebt und etwa in Elysium zu bewundern ist, wo Matt Damon die Wahl zwischen Freunden und entfremdeten Egoismus bleibt, nicht aber, die Welt, in welcher er lebt, mit Gleichgesinnten zusammen zu wählen, was ja gerade die Sünde der Bürger von Elysium ist, welche sich in eine invertierte Fahrradfelge in einer Erdumlaufbahn abgesetzt haben, wo ihr Leben jetzt von Rost und Endogamie bedroht wird, während die Welt in ihrem natürlichen Reichtum schwelgt, ähm, bedroht werden müßte und schwelgen müßte - der Film behauptet freilich anderes, am Ende freuen sich alle gar auf die nun endlich erhältliche Wundermedizin. Gruselig. Also, das Problem der katholischen Zwangsankettung aller Schafe an einander besteht darin, daß durch die Integration in eine Organisation das Vorwalten der funktionalen Ebene über die ideelle durch organisatorische Sachzwänge begünstigt wird, und das Vorwalten einer niedrigeren Existenzebene über eine höhere ist immer schlecht, und nicht nur, wenn es zu Lasten der funktionalen geht, weil der Soldat aufgrund des Vorwaltens der materiellen in seiner Wahrnehmung den Befehl verweigert. Es wirft auch die Frage auf, als was sich die katholische Kirche versteht: als Gemeinschaft der Heiligen zur Segnung der Welt oder als Kettenschmiede und -inspektoren eines imperialen Apparats?

Wird die Welt schließlich als unbestimmt empfunden, wie oftmals von isolierten Jugendlichen, so wenden sie sich ebenfalls ihrer Fähigkeit, etwas zu unternehmen, zu, und in dem Fall sind auch die Verkörperungen eher beliebig, doch nicht, um sich ihrer zu vergewissern, sondern um sie kennenzulernen, also ohne Erfolgsdruck, in der vagen Hoffnung, sie einmal einsetzen zu können, vorzugsweise, um selbst etwas zu bestimmen, aber möglicherweise auch, um sich in einer Fremde zu behaupten.

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