Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

15. Oktober 2022

Vom gegenwärtigen Rückzug aus dem Staat

Wir gliedern uns auf drei Weisen in den Staat ein, nämlich indem wir
  • uns in seine Entscheidungsprozesse einbringen,
  • uns seiner organisierenden Dynamik anvertrauen und
  • uns in die von ihm vorgesehenen Rollen einfinden.
Die Entscheidungsprozesse in westlichen Demokratien beruhen pro forma auf dem Mehrheitsbeschluß der Wahlberechtigten, de facto aber auf dem vorherrschenden finanziellen Interesse. Indem nun die Macht kristallisiert, ist die Bevölkerung zunehmend weniger im Stande, ihrem Willen durch finanzielle Anreize Gewicht zu verleihen, und also daran gehindert, sich einzubringen.

Gleichzeitig wird die Form zur Farce und die Aushöhlung der staatsbürgerlichen Haltung für jeden sichtbar, so daß auch niemand glaubt, daß sich ernstzunehmende Personen für das allgemeine Interesse einbringen.

Um zu verstehen, wie sich dies auf die Einfindung auswirkt, bedienen wir uns folgender, zugegeben maximal vulgärer Theorie:
  • ein Schwein (S) sei ein Mensch, welcher stets sein eigenes Interesse zum Schaden des allgemeinen verfolgen wird, und
  • ein Nichtschwein (N) einer, welcher es nicht tut.
Dann gilt der Satz von der Notwendigkeit der Zentralisierung der Macht über die Schweine, weil Schweinen eben kein Spielraum in Regierungsfunktionen zugestanden werden kann, und als sein Korollar, daß die S-Herrschaft (die auf Schweine eingestellte) undifferenziertere Rollen für die Bürger vorsieht als die N-Herrschaft, welche sich auf N-Regierungspersonal stützt, da es zu deren Differenzierung des Eingehens auf lokale Verhältnisse bedarf.

Gleichzeitig können wir aber auch betrachten, wie sich die Variation des S:N-Verhältnisses unter der S-, beziehungsweise der N-Herrschaft auf dieselbe auswirkt. > bezeichne dabei die stabiler-Relation und X/Y die X-Herrschaft über Y. Es gilt also
N/N > N/S > S/S > S/N,
denn differenziertere Rollen erlauben umfassendere Kontrolle als Standardrollen, und während sich Schweine gegen jede Herrschaft auflehnen, so Nichtschweine nur gegen die S-Herrschaft in folge ihrer geisttötenden Standardisierung.

Mit anderen Worten führt der Rückzug der Nichtschweine aus den Entscheidungsprozessen des Staats dazu, daß der Staat zu einer S-Herrschaft übergehen muß, und dieselbe bietet den Nichtschweinen nur Rollen, in welche sie sich nicht einfinden, konkret indem sie Rollen außerhalb des Systems übernehmen, von welchen sich die S-Herrschaft keinen Begriff machen kann, und deren einziger Autor sie selbst sind.

Auf diese Weise wird eine konzeptuelle Reinigung bewirkt, in deren Verlauf wir uns darüber klar werden, auf welche Weise wir leben wollen und können. Im übrigen expliziert die vorstehende Theorie die jahrtausende alte Einsicht, daß das Niederträchtige an sich selbst zu Grunde geht (6. Zeile Hexagramm 23, Kain und Abel bis Noah).

Und was das verbleibende Anvertrauen angeht, so ist die Notwendigkeit von Herren und Dienern, von welcher Markel Sossima noch in den Brüdern Karamasow spricht, schon seit der industriellen Revolution nicht mehr gegeben, seit sie nämlich nicht mehr nötig sind, um zu verhindern, daß die ganze Gesellschaft durch die Last der Feldarbeit gezeichnet ist.

Freilich, auch bei kristallisierter Macht gibt es Möglichkeiten, daß sich Nichtschweine noch in Entscheidungsprozesse einbringen, insbesondere, wenn ihnen gewisse schweinische Standesprivilegien zugestanden werden, welche sie genießen können, so lange sie den Wagen nicht gegen die Wand fahren - ein uraltes Argument für die Monarchie, aber analog auch für die nationale kommunistische Partei. Es ist vor diesem Hintergrund durchaus bemerkenswert, daß es in westlichen Demokratien so eingerichtet ist, daß das vorherrschende finanzielle Interesse sich nicht aus sachlogischen Gründen weiter um das allgemeine Interesse sorgen muß, sondern nur im Rahmen des wirtschaftlich geführten Meinungskampfes.

Das System lebt vom Nimbus seines Ertrags, doch verliert gleichzeitig seinetwegen seine Aufseher und wird durch die sie ersetzenden Selbstbediener zur eigenen Verkrüppelung gezwungen. Durchaus zu erwarten, wenn man seine Genese bedenkt. Die Frage, wohin es führt, wurde nie gestellt, nur wozu es geführt hat, unter bestimmten Umständen, welche nicht als Parameter erkannt wurden.

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