Bereitschaftsbeitrag

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10. Oktober 2022

Zur staatsbürgerlichen Haltung als Grundlage der staatlichen Einheit

Unter der staatsbürgerlichen Haltung verstehe ich die Haltung, welche ein Staatsbürger als solcher annimmt und durch welche er sich als Staatsbürger in den Staat einbringt.

Es gibt somit zwei Arten staatlicher Entscheidungen, nämlich
  1. solche, welche aus der staatsbürgerlichen Haltung folgen und
  2. solche, welche es nicht tun.
Statt von staatsbürgerlicher Haltung sprach ich zuvor auch vom Glauben oder der Ideologie eines Staates, aber ich möchte diesen Beitrag in seinen Grundzügen möglichst anspruchslos halten.

Verfassungen sind Versuche, die staatsbürgerliche Haltung zu fixieren, aber zum einen gelingt ihnen das üblicherweise nur partiell, und zum anderen führt die Fixierung oftmals, und nach einigen Jahrhunderten tat sie's sogar im Falle der Scharia, zur Verdrängung des Staatsbürgers als Wächter seiner Haltung durch Rechtsgelehrte, wodurch die staatsbürgerliche Haltung unter Vorbehalt gestellt wird.

Konzeptgemäß trägt jeder Staatsbürger die Verantwortung dafür, die staatsbürgerliche Haltung zu befolgen, gleich welche Stelle er im Staat einnimmt, und wenn sie an einer Stelle des Staates nicht befolgt wird, so obliegt es dem Rest, sie dort wieder in Kraft zu setzen (wie etwa von Moses für israelische Gemeinden, welche die mosaischen Gesetze nicht befolgen, vorgesehen).

In den heutigen Demokratien, nun, erfolgt die Entscheidung über jene Angelegenheiten, welche nicht aus der staatsbürgerlichen Haltung folgen, durch Mehrheitsentschluß. Dafür zwei Beispiele, welche verdeutlichen, daß sich daraus durchaus Zumutungen ergeben:
  1. die Frage, wo geraucht werden darf. Wenn es allen so ginge wie mir, der ich schon nach ein paar Stunden Raucheinatmen einen Katarrh entwickle, entspräche es freilich nicht der staatsbürgerlichen Haltung, das Rauchen im öffentlichen Raum zu erlauben, aber da ich diesbezüglich zu einer politisch zu vernachlässigenden Minderheit gehöre, steht es der Gesellschaft frei, die Angelegenheit nach dem Votum der Mehrheit zu regeln, und
  2. die Einführung des Flaschenpfandes, welches anständigen Bürgern nur Zeit und Geld raubt, aber diese Lasten der Allgemeinheit mit Verweis auf Problemfälle immernoch im Rahmen der staatsbürgerlichen Haltung auferlegt.
Bei anderen Fragen, etwa der Bekämpfung des Klimawandels oder Coronas, fordert die staatsbürgerliche Haltung angesichts ihrer Schwerwiegendheit ein vernunftgeleitetes Vorgehen, welches Kosten und Nutzen ermittelt und sie probabilistisch abwägt.

Leider teilen aber nicht alle diese staatsbürgerliche Haltung, legendär etwa die Gefälligkeitsgutachten für die Tabakindustrie. Und so kommt es, daß auch in den zuletzt genannten Fragen, der staatsbürgerlichen Haltung nicht entsprochen wird.

Selbstverständlich gibt es in diesem Punkt kulturelle Unterschiede, wobei ich der Meinung bin, daß umfangreichere staatsbürgerliche Haltungen höhere Zivilisationsstufen begründen, und zwar aus folgendem Grund.

Würde alles durch Mehrheitsbeschluß entschieden, oder auch durch einen anderen unvernünftigen Mechanismus, wie etwa Bestechung von Politikern und Richtern, so träte jedes Mal, wenn eine Entscheidung als mit der eigenen Haltung unvereinbar eingestuft würde, und das würde oftmals bereits bei simplen Fehlentscheidungen der Fall sein, der Revolutionsfall ein. Doch wenn es eine staatsbürgerliche Haltung gibt, welche die überwiegende Mehrheit der Haltungen der Bürger berücksichtigt (letztlich ihre (subjektiven) Glauben), derart, daß sie Verfahren zur gewissenhaften Problembewältigung bereitstellt, so tritt der Revolutionsfall erst dann ein, wenn die staatsbürgerliche Haltung nicht mehr befolgt wird.

Heute nun sehen wir, daß politische Entscheidungsprozesse der staatsbürgerlichen Haltung nicht entsprechen, und werden dazu aufgefordert, nicht diejenigen dafür verantwortlich zu machen, welche dafür verantwortlich sind (Politiker und Medien), sondern vielmehr anzunehmen, daß jene, welchen ihnen ihre Zustimmung geben, nicht bloß eine uns mißliebige Meinung vertreten, sondern in die Aufhebung der staatsbürgerlichen Haltung einwilligen, was aber nicht der Fall ist, weil ihre Zustimmung nur den einzuschlagenden Kurs betrifft und nicht die Methode der Navigation.

Fallen wir darauf herein, so geben wir unsere Zivilisationsstufe auf und trachten nur nach einer Kurskorrektur, welche zu korrigieren bald eine andere Partei trachten wird, doch wenn wir uns auf unsere staatsbürgerliche Haltung besinnen, so liegt gerade darin der Kitt, welcher die haltungswiederherstellende Revolution zusammenhält.

Zwar hört sich dies, so formuliert, nach nichts Großem an, genauer gesagt einer bloßen Übung in Konservatismus, europäischer Bürgerlichkeit, doch darf man dabei nicht vergessen, daß es sich bei dem hier Beschriebenen um eine bewußte Demolation handelt, eine künstliche Zuspitzung von Problemen mit dem Zweck, die staatsbürgerliche Haltung außer Kraft zu setzen, welche erschreckend weit gediehen ist, und nicht um die grundlegenden Probleme unserer Zeit. Was also bewußt eingerissen wurde, das wüßten wir schon wieder aufzubauen, aber sollte uns das, so betrachtet, übermütig stimmen oder lediglich als Ausweis der Vernünftiggebliebenen dienen?

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