Bereitschaftsbeitrag

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26. September 2022

Zur Selbstentfremdung der menschlichen Natur

Wir können Rechtschaffenheit, Frieden und Verbundenheit als solche ehren oder an einem Vorbild als Rechtschaffenheit, Können und Eingebundenheit bewundern, und wir können sie für uns selbst zu erlangen versuchen oder für andere.

Mithin sind die Ehrbarkeiten soziale Faktoren. Im Falle der Nächstenliebe, welchen ich im vorigen Beitrag betrachtet habe, sind es die Schwarmverhalten, an welchen sie sich entzündet,
  • die Rechtweisung an der Arbeitsteilung,
  • das Beispringen am Zusammenwirken und
  • die Offenherzigkeit an der Zurechtweisung.
Koordiniertes Verhalten ist gesamtgesellschaftlich unvorstellbar, also daß
  • sich alle gegenseitig Zusagen machen (abgesehen von Verfassungstreue und dergleichen),
  • alle zusammenarbeiten und
  • sich alle verbünden,
und wenn der Großteil der Menschen (wenn's nach einem Déjà-vu geht, schrieb ich schon hiervon), Vorhaben, Erfahrungen und Haltungen einseitig delegiert, sich also stets in der Rolle von

wiederfindet, so verhülfen diesen

  • Rechtweisung nicht zu heiliger Kühnheit,
  • Beispringen nicht zu heiligem Eifer und
  • Offenherzigkeit nicht zu heiliger Neugierde,

sondern dies geschieht erst dadurch, daß sie sich bisweilen auch in der Rolle von

  • Auftraggebern,
  • Herren und
  • Prüfern

wiederfinden. Und ähnlich verhält es sich bei der Bewunderung, denn

  • nur das Können von Auftraggebern überzeugt,
  • nur die Eingebundenheit (vormals Gespür) von Herren spornt an und
  • nur die Rechtschaffenheit von Prüfern ruft auf,

worauf übrigens die Erneuerung der Seelenteile beruht:

  • die Erneuerung der Sorge beginnt mit der Überzeugung durch das Können, welche sie auch vorantreibt, 
  • die Erneuerung der Lust beginnt durch den Ansporn der Eingebundenheit, und dieser treibt sie auch voran, und
  • die Erneuerung der Achtung beginnt mit dem Aufruf der Rechtschaffenheit, welcher sie auch vorantreibt.

Ich schrieb schon davon, wenn auch nicht explizit: Es ist das ritterliche Ideal, Rechtschaffenheit, Friede und Verbundenheit der christlichen Gesellschaft, welches die Achtung unter der Herrschaft der Rücksichtslosigkeit durch seine Bewunderung zu neuer Verwandtheit (und Eingebundenheit) führte, und es sind die technischen Möglichkeiten, welche die Sorge unter der Herrschaft der Unvernunft durch ihre Bewunderung zu neuer Vervollkommnung (und Rechtschaffenheit) führt, ebenso wie die Lust dadurch erneuert wird, daß die von den Pharisäern gestaltete soziale Eingebundenheit bewundert wird.

Dazu aber eine Bemerkung. Es ist vernünftig anzunehmen, daß mit einer neuen Rechtschaffenheit auch eine neue Eingebundenheit einzieht und mit einer neuen Eingebundenheit auch ein neues Können, und also kann der indogermanische (Sorge, Achtung) und der semitische (Sorge, Lust) Erneuerungszykel als plausibel betrachtet werden (die Erneuerung der Lust fällt bei jener der Achtung ab, beziehungsweise jene der Achtung bei jener der Sorge), aber es ist nicht gesagt, daß ein neues Können automatisch zu einer neuen Rechtschaffenheit führt, und dies stellt ein Problem für den tibeto-japanischen Zykel dar, dessen Erneuerung der Achtung also irgendeines äußeren Vorbilds bedarf, um nicht rein restaurativ zu wirken. (Im übrigen hoffe ich, daß die Verwendung des Worts Rechtschaffenheit im vorigen nicht zu sehr verwirrt.)

Sowohl die Nächstenliebe, als auch die Bewunderung muß die gesamte Gesellschaft erfassen, um ihren jeweiligen Zweck zu erreichen, was bei der materialistischen Kristallisation der Macht nur noch eingeschränkt möglich ist, nämlich die Rechtweisung und die Überzeugung betreffend. Mit anderen Worten gebärden sich sozialistische Staaten zwar ansonsten rücksichtslos, doch die Achtung vermögen sie nicht zu erneuern, und auch alles gesellschaftspolitische Pharisäertum ist nicht im Stande, die Lust zu erneuern, da, wie ich es nannte, die Menschen ihre Sorge und Achtung an ihren Wohlstand verkauft haben.

Übrigens ist dies sehr zynisch: Diese Selbstentfremdung der menschlichen Natur, die Abtötung der eigenen Sorge und Achtung, stellt gerade den Vitalitätsverlust dar, welcher dafür sorgt, daß mit steigendem Wohlstand die Bevölkerungswachstumsproblematik schwindet.

Andererseits ist es tröstlich zu wissen, daß in dem geschichtlichen Augenblick, in welchem die Herrschaft der Unvernunft ihren Höhepunkt erreicht, gar nichts anderes geschehen kann, als daß sich die Sorge, das Können von Auftraggebern reflektierend, erneuert.

Doch kommen wir nach dieser Betrachtung der sozialen Bedeutung der menschlichen Natur nun zu den Formen ihrer Selbstentfremdung, nämlich

  • Bestechung, wenn in sie eingewilligt wird,
  • Verbiegung, wenn sie aufgezwungen wird, und
  • Verderbung, wenn sie unbemerkt bleibt,

und dem Rahmen, in welchem sie betrachtet wird, nämlich als eine Methode, um Akzeptanz zu erlangen, welcher es wiederum drei gibt, nämlich

  • Überzeugung,
  • Selbstentfremdung und
  • Täuschung.

Akzeptanz, aber, wird hierbei zu zwei Zwecken angestrebt, nämlich entweder

  1. um die Vitalität der Gesellschaft zu beeinflussen oder
  2. um die Vitalität einer Teilgruppe einzudämmen.

Ad 1. Hier müssen Regierung und Regierte als zwei Gruppen betrachtet werden, wobei es zu vermeiden ist, die Regierten sich selbst zu entfremden, so daß Überzeugung und Täuschung als Mittel des Regierens übrigbleiben. Unter den Regierenden ist neben Überzeugung allenfalls Bestechung als Mittel der Akzeptanzerlangung anzuraten. Und dieses beides zusammen ist die traditionelle europäische (etwa katholische) Sicht, doch möchte ich den Fall nicht übergehen, daß bereits eine Selbstentfremdung der Regierten vorliegt und was diesbezüglich zu tun ist.

Grundsätzlich ist die Verbiegung besser als die Bestochenheit oder die Verdorbenheit, denn der sich Verbiegende würde gerne aus ihr herauskommen. Wenn nun also einer bestochen oder verdorben ist, so kann in ihm unter Umständen der Widerwille gegen seine Selbstentfremdung geweckt werden, so daß er auf einen Schlag zu einem sich Verbiegenden wird. Der direkte Weg, dies zu tun, ist der Appell an seine Natur, aber bei Hartgesottenen wenig erfolgversprechend. Der indirekte Weg benutzt eine zusätzliche Verbiegung, welche so gewählt ist, daß sie entweder die Kosten-Nutzen-Rechnung der vorliegenden Bestechung umstößt oder die vorliegende Verdorbenheit bewußt macht, und also in beiden Fällen die Aufhebung der angetroffenen Selbstentfremdung zum Mittel ihrer eigenen Aufhebung macht, etwa wie wenn einem Trunkenbold die Verengung seines Garagentors verhängt wird. Es ist aber wichtig, daß dies ohne übermäßige Schwierigkeiten möglich ist, denn Verbiegungen können selbst auch umgekehrt in Bestechungen übergehen, wenn der Aufwand ihrer Behebung als zu groß eingeschätzt wird.

Der Islam lehnt die Beeinflussung der gesellschaftlichen Vitalität kategorisch ab, der Sozialismus besticht die Regierten und der endopportunistische, neofeudale Kapitalismus auch, denn wer seine Seele verkauft, willigt in ihren Verlust ein. Und was diese spezielle Bestochenheit angeht, so besteht der effektivste indirekte Weg ihrer Behebung darin, eine Atombombe auf New York zu werfen, wie es Johannes offenbart wurde (Offenbarung 10:1, 17:16, 18:10).

Ad 2. Hier sind die beiden betrachteten Gruppen die Guten und die Bösen. Die Guten sollten sich untereinander nur überzeugen und auf keine andere Weise ihre Akzeptanz erlangen. Und bei der Eindämmung der Bösen sollten die Guten darauf verzichten, sie (noch mehr) zu verderben, da sie sich andernfalls an Gottes Schöpfung vergehen. Auch sollten die Bösen, wenn es sich vermeiden läßt, nicht getäuscht werden, da sich das Gute durch Wahrhaftigkeit ausweist. Bestechen oder verbiegen, aber, muß man die Bösen, wie es die Last des Bösen befiehlt.

Der Islam bekennt sich offen zur Eindämmung der Vitalität der Ungläubigen, Christen lehnen sie entweder ab, wie die Amischen, oder sie übertragen es der weltlichen Hoheit, die Vitalität der Feinde der weltlichen Hoheit einzudämmen. Das Problem dabei besteht natürlich stets darin, sich selbst zum Richter über Gut und Böse zu machen, und Eiferei in dieser Frage wirkt desaströs. Ganz auf diesen Ansatz verzichten wird die Menschheit wohl nicht, und so kann ich nur dafür plädieren, gleich wie es organisiert wird, das Böse nur in größter allgemeiner Übereinstimmung als solches zu bezeichnen und einzudämmen.

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