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16. Juni 2019

Weltanschauungstrichter

Weltanschauungen kommen nicht von alleine zu Stande, sondern durch
  1. eine weltanschauliche Analyse und
  2. eine weltanschauliche Vermittlung,
deren Kombination ich einen Weltanschauungstrichter nennen möchte.

Bis vor 100 Jahren dominierte der familiäre Weltanschauungstrichter Europa. Seine beiden Teile sind
  1. Lebenserfahrung und
  2. Geselligkeit.
Seitdem hat sich hierzulande der nationalromantische Weltanschauungstrichter breitgemacht. Seine beiden Teile sind
  1. Inspektion und
  2. Zurechnung.
Es ist erschreckend, wie selbstverständlich wir diese Trichter unserer Phantasie zu Grunde legen. Wann immer wir uns beispielsweise eine andere Zeit vorstellen, etwa die der Kreuzzüge, werden wir sogleich, wenn wir dem nationalromantischen Weltanschauungstrichter anhangen, damit beginnen, uns unsere Möglichkeiten als Angehörige dieser oder jener Gruppe in jener Zeit zu vergegenwärtigen, während unseren Vorfahren gänzlich andere Dinge in den Kopf gekommen wären, nämlich Herausforderungen aller Art und die Weise, sie zu meistern.

Die Inspektion ist das Geschäft der Hochschulen, und wurde als weltanschauungsstiftende Institution bereits von Aristoteles beworben. Die Zurechnung anzuregen, ist das Geschäft von Medien und Politik.

Wir reden auch nicht mehr im eigentlichen Sinne mit einander, sondern kommentieren wechselweise aus gleicher Perspektive, nämlich derjenigen, welcher wir uns gemeinsam zurechnen.

Das Schlimme ist, wie gesagt, wie selbstverständlich und unbemerkt diese Prozesse ablaufen, denn  nicht immer landet man so bei der passenden Auffassung. Insbesondere ist es völlig verfehlt, Christus als Inspektor zu betrachten und Nachfolge als eine Frage der Zurechnung aufzufassen, mit anderen Worten zu erwarten, daß man sich nur in Seinen Kurs einschreiben müsse und dann gelehrt bekäme, was man als Christ wissen muß.

Aber anders können sich die Meisten heute Nachfolge gar nicht mehr vorstellen.

Ich möchte indes behaupten, daß es noch einen weiteren Weltanschauungstrichter gibt, nämlich den autoritativen Weltanschauungstrichter, bestehend aus
  1. Erwägung und
  2. Anerkennung,
welcher sich vom familiären dadurch unterscheidet, daß er sich mit dem Leben auf theoretische Weise beschäftigt und dabei zu allgemeinen Urteilen kommt, welche der Übernahme der Ansichten Anderer einen formellen Charakter verleihen.

Und dieser Weltanschauungstrichter ist der geistlichen Nachfolge sehr viel angemessener; mit anderen Worten muß man seine eigene Geistlichkeit einbringen und sich nicht nur einer Standardidentität zurechnen.

Ich gebe zu, selbst unbemerkt in den nationalromantischen Weltanschauungstrichter abgerutscht zu sein, woher ein gewisser Defätismus rührte, aber die letzten Betrachtungen hatten doch ihren Sinn, insofern sie die Frage der Zuständigkeit verdeutlicht haben.

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