Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

2. Januar 2012

Discussion du Film socialisme

Godard stellt sich, wie viele andere, die Frage, wohin die Reise geht. Zunächst schildert er recht umfassend die geistige Verfassung der linken Eliten, um dann pars pro toto eine linke Arbeiterfamilie eine Weile zu begleiten. Schließlich deutet er vor dem Hintergrund der historischen und gegenwärtigen Gegebenheiten so etwas wie eine Zukunftsvision an, ohne freilich den Anspruch an die Konkretheit einer solchen Vision, welchen er zuvor teilweise entwickelt hat, zu erfüllen. Es ist vielmehr der Versuch eine Methode zur Lösung eines bestimmten Problems zu bewerben und dadurch eine bestimmte Entwicklung anzustoßen.

Ad I. Die Linken sind die manifestierten Furien, welche die Menschheit mit ihren völlig überzogenen, jeglicher persönlichen Verbindung ermangelnden Ansprüchen im Namen der Gerechtigkeit plagen. Das stellt Godard zutreffend dar. Haß und universelle Aggressivität, Rückwärtsgewandtheit und emotionale Uferlosigkeit und Unbestimmtheit, ein einziges Beben und Schweben, welches in der Summe dennoch eine erstaunliche Zielstrebigkeit offenbart, gleich dem Gewimmel von Ameisen.

Muß man mehr sagen? Nicht unbedingt, dünkt mich.

Ad II. Godard beginnt diesen Teil mit der Klage über die Entfremdung zwischen den Menschen, welche zunächst ein Rätsel bleibt, um dann später allerdings auf ärgerliche Weise eine Lösung zu erfahren. Ich schrieb von alledem, von der Entfremdung, ihrer Ursache und ihrer Lösung und auch von der Lösung, welche Godard vorschlägt, nämlich dem Ende der Vernunft, denn daß sich die Vernunft in dem Gebrauch des Wortes ist offenbart, als welches eben das Sein eines Umstandes reflektiert, ist ja nach all dem, was ich zu diesem Thema geschrieben habe und hier freilich nicht in seiner Gänze anführen kann, hinreichend klar. Auch habe ich bereits von der geistigen Verfassung der Kinder des Arbeiters gesprochen, jenen schwermütigen Träumereien derjenigen, welche es zu gut haben, und die Welt wie aus einem Elfenbeinturm heraus, denn hier paßt das Bild, betrachten.

Nichstdestotrotz soll von diesen laut Godard doch das Heil kommen, und zum Teil hat er natürlich auch mit der vorgeschlagenen Lösung Recht, denn natürlich muß man erst einmal sehen lernen, bevor man zu lesen anfängt, wenn man sich nicht in bedeutungslosen Begriffsgebäuden verlieren will, was ein leider nur allzu verbreitetes Phänomen ist, welches ich ja auch gerade erst im vorletzten Beitrag satirisch aufgespießt hatte, doch mit dem Sehen muß ein Bewußtsein dessen, daß, was man dort sieht, ist, einhergehen, und alles, was man liest, Behauptungen über das Sein von etwas aufstellt, welche allesamt zunächst fragwürdig bleiben müssen. Nicht die reine Sinnenhaftigkeit gilt es zu stärken, sondern den urteilenden Verstand als Grundlage aller Vernunft. Nun gut, dahin gelangt Godard nicht, weil all die Franzosen, welche er zum Thema Geist und Bewußtsein zitiert, dahin nicht gelangen. Letztlich ergibt er sich, wie sie alle, dem Schwelgen in geistvoll scheinenden Verwirrungen. Daran ist nichts gut, außer daß es Aufmerksamkeit heischt und auf dem Wege der Auseinandersetzung mit dieser Verwirrung in Einzelnen einen Prozeß zur Klarheit hin anstoßen mag.

Philosophische Unreife macht sich dabei auch noch an anderer Stelle bemerkbar, nämlich in dem unsäglichen Konzept der materialistischen Willensfreiheit des Geistes durch materielle Gestaltung. Ein Konzept allerdings, an welches Godard selbst nicht zu glauben scheint, denn es sieht doch danach aus, daß er es durch Gruppengymnastik verhöhnt, und auch danach, daß er es durch den wiederkehrenden Ausspruch über die neue Ernsthaftigkeit der Gotteslästerer angreift. Wir haben Pflichten. Der Satz fällt immerhin. Für Godard bleibt das aber im Innersten immer eine Sache des mitfühlenden Herzens. Dieses verpflichtet uns, und sonst nichts. Und das ist natürlich eine seltsame Einschränkung. Andererseits erwähnt er die Macht von Idealen, nur halt nicht explizit als auch außerhalb jenes Bereiches stehend. Aber so ist es natürlich, nicht jedes Ideal betrifft unser Mitgefühl, selbst wenn allen Idealen ein gemeinschaftlicher Nutzen innewohnt. Der Unterschied ist gar nicht mal so fein, und ich habe mich dazu natürlich auch schon umfassend ausgelassen.

Nun, ich will nicht soweit gehen zu sagen, daß Godard sich eindeutig gegen all das stellt, was ich vorschlage, daß die Lösung, welche ich ihm unterstelle zu vertreten, wirklich eindeutig von ihm vertreten wird. Es gibt durchaus auch andere Töne. Nur insgesamt scheint mir die Balance eine bestimmte zu sein, Männlichkeit spielt keine große Rolle. Er nennt sogar den Grund dafür, Männlichkeit ist zu stolz und mindert somit die Produktivität. Was er allerdings nicht nennt ist die Folge erhöhter Produktivität, nämlich Arbeitslosigkeit und soziale Verwerfungen. Der Prince of Wales hat sich ja aus diesen Gründen gegen die Urbanisierung Afrikas gestellt, und dieser Punkt ist natürlich auch ein nicht unbedeutendes Konfliktfeld zwischen Grünen und klassischen Roten. Nun, ich persönlich bin natürlich nicht der Meinung, daß es ein moralisches Gesetz gibt, welches einem allgemein befehlen würde, dafür zu sorgen, daß andere Leute ihre Arbeit effektiver erledigen, sondern daß dies bestenfalls ein individuell empfundener Wunsch ist, anderen zu helfen, welcher als solcher ehrenwert ist, und schlimmstensfalls eine unterschwellig aggressive Zwietracht säende Anmaßung.

Ad III. Es ist doch aber wieder recht interessant mitanzusehen, mit welcher Schonungslosigkeit Godard die historischen und gegenwärtigen Gegebenheiten schildert. Wir haben unsere Freiheit durch Feigheit, Prostitution und Verrat erkauft. Dem ist nichts hinzuzufügen, und auch sonst sehe ich da wenig, welchem ich mit Widerwillen begegne, einzig wenn es um Palästina geht, erlaubt sich Godard wieder wenig hilfreiche romantische Schwelgereien. Das ist natürlich der Punkt schlechthin, das frei umherhüpfende Herz verwandelt uns alle in rachsüchtige Furien, nachdem seine überzogenen Ansprüche unerfüllt blieben. Das hätte Godard durchaus einsehen können. Aber wahrscheinlich betrachtet er das als notwendiges dialektisches Übel, welches durch Verjüngung, wenn nicht kuriert, so doch beherrscht wird. Nun ja... soll er das so halten, ich bin recht froh unter vergleichsweise temperamentlosen Menschen zu leben und auch hin und wieder einer 50 jährigen Frau zu begegnen, welche Zufriedenheit ausstrahlt. Ein merkwürdiger Schlußsatz, aber ich denke, allen relevanten Facetten Genüge getan zu haben.

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