Zur Klassifikation militärischer Organisationen nach Stanisław Andrzejewski
Und noch eine Rezension, welche sich mit dem Vorrang der Form beschäftigt. Das Werk, auf welches ich mich im folgenden beziehe, ist Military organization and society (London, Routledge & Paul, 1954, 2nd edition 1968.)
Stanisław Andrzejewski unterscheidet militärische Organisationen nach drei Gesichtspunkten.
Nicht jede söldnerische Gesellschaft ist eine Tyrannei, aber jede Tyrannei ist eine söldnerische Gesellschaft, da nur eine niedrige militärische Partizipationsrate und eine hohe Subordination die für sie charakteristische allgemeine Furcht erzeugen können.
Ein Orden ist entweder bruderschaftlich oder söldnerisch organisiert, da die für ihn charakteristische Kohäsion kein Massenphänomen sein kann. Eingedenk der ersten Bemerkung ist ein Orden aber gut beraten, sich bruderschaftlich zu organisieren, um nicht eine Tyrannei auszuarten.
Ein Stand hingegen ist notwendig söldnerisch organisiert, da seine Kohäsion ja erst durch Subordination entsteht: weil man ähnlich große Macht hat, hält man zusammen. Unschwer zu erkennen, daß darin bereits der Keim der Tyrannei steckt.
Die ritterliche Gesellschaft ist vielleicht nicht ganz zufällig das genaue Gegenteil der totalitären Gesellschaft. Was ich meine ist dies, daß die katholische Kirche, als eigentlicher Regent Europas im Mittelalter, ganz bewußt eine Struktur erschaffen hat, welche militärisch minimal belastbar ist, um die Folgen militärischer Konflikte innerhalb Europas zu minimieren.
Ich finde es im Übrigen recht amüsant, daß Andrzejewski Bantus, Massai und Sachsen als Beispiele kriegerischer Gesellschaften angibt, aber der Mann ist Pole, was soll man erwarten. Die Verfaßtheit der alten Sachsen ist übrigens recht kompliziert und läßt sich nicht so ohne weiteres unter seine Klassifikation bringen, da Kohäsion und Subordination bei ihnen sehr eigentümlich geregelt waren, einzig die hohe Partizipationsrate ist gesichert.
Aber um noch einmal auf das Mittelalter zurückzukommen, Andrzejewski behauptet, daß die einfallenden Germanen söldnerisch organisiert gewesen wären und in der Folge ihre Kohäsion verloren hätten. Das ist natürlich Quatsch, denn selbstverständlich hatten sie keine niedrige Partizipationsrate. Allerdings wäre ein zweifacher Übergang, zunächst von kriegerisch zu söldnerisch durch zusätzlich erworbene Untertanen und dann zu ritterlich durch rückläufige Kohäsion im Falle Frankreichs durchaus natürlich, bloß glaube ich das nicht so recht. Die Feudalisierung, die Auflösung des Corpsgeistes, wurde gezielt vorangetrieben, europaweit. Und ist also das Werk der katholischen Kirche, wohl aus dem genannten Grund.
Indes, der Instinkt zu einer hohen Partizipationsrate ist den mittel-, nord- und osteuropäischen Völkern nie abhanden gekommen, wie Andrzejewski in seinen Betrachtungen zu dem Aufkommen der modernen totalitären Gesellschaften zu Recht mutmaßt. Nun, da kann ich natürlich gleich weiter mutmaßen, daß dies auf einen signifikanten Anteil Versuchender an der Bevölkerung zurückzuführen ist. Materialisten erfüllten diesen Zweck natürlich auch, aber sie fehlen ja größtenteils in Europa, und außerdem sind sie subordinationsunverträglich. Nur, welche Bedeutung hat dies noch, wenn Macht nicht mehr durch heiße Kriege erworben wird?
Unter den Bedingungen des kalten Krieges zählt eine hohe Partizipationsrate nichts. Bruder- und Söldnerschaften sind die natürlichen Favoriten unter ihnen. Söldnerschaften besitzen indes den Mangel, daß sie in eine Tyrannei hinübergleiten können, ohne daß dies auch nur bemerkt würde. Und es sieht freilich danach aus, daß genau dies zur Zeit passiert.
Das heißt aber nicht, daß Bruderschaften die einzige Alternative wären, denn es gibt durchaus Möglichkeiten, Kriege wieder heiß zu machen, so lange man sie dabei nur für die Gegenseite unattraktiv genug macht, was heutzutage freilich nicht heißt, sich möglichst teuer auf dem Feld zu schlagen, sondern in erster Linie, ein größeres Chaos geschlagen als ungeschlagen zu hinterlassen. Man kann es auch gleich so angehen, daß man sich als derjenige verkauft, welcher einzig in einem bestimmten Gebiet für Ordnung sorgen kann. Und dabei spielt eine hohe Partizipationsrate selbstverständlich die entscheidende Rolle. Die Masse muß Chaos anrichten, damit ihre eigene Marionette sie befrieden kann. Religion ist dabei übrigens ungemein nützlich, da sie nicht rational hinterfragbar ist. Daß irgendjemand einfach nicht den richtigen Glauben hat, ist geradezu die ideale Ausrede dafür, Chaos anzurichten.
Die Afghanen haben all das wahrscheinlich schon vor langer Zeit verstanden.
Stanisław Andrzejewski unterscheidet militärische Organisationen nach drei Gesichtspunkten.
- Militärische Partizipationsrate (MPR), wie hoch der Anteil des Militärs an der Bevölkerung ist.
- Kohäsion, wie sehr das Militär zusammenhält.
- Subordination, wie stark das Militär hierarchisiert ist.
- Ritterlich: niedrige MPR, niedrige Kohäsion, niedrige Subordination (kurz: mks).
- Bruderschaftlich: mKs.
- Söldnerisch: mKS.
- Anarchisch: Mks.
- Kriegerisch: MKs.
- Totalitär: MKS.
Nicht jede söldnerische Gesellschaft ist eine Tyrannei, aber jede Tyrannei ist eine söldnerische Gesellschaft, da nur eine niedrige militärische Partizipationsrate und eine hohe Subordination die für sie charakteristische allgemeine Furcht erzeugen können.
Ein Orden ist entweder bruderschaftlich oder söldnerisch organisiert, da die für ihn charakteristische Kohäsion kein Massenphänomen sein kann. Eingedenk der ersten Bemerkung ist ein Orden aber gut beraten, sich bruderschaftlich zu organisieren, um nicht eine Tyrannei auszuarten.
Ein Stand hingegen ist notwendig söldnerisch organisiert, da seine Kohäsion ja erst durch Subordination entsteht: weil man ähnlich große Macht hat, hält man zusammen. Unschwer zu erkennen, daß darin bereits der Keim der Tyrannei steckt.
Die ritterliche Gesellschaft ist vielleicht nicht ganz zufällig das genaue Gegenteil der totalitären Gesellschaft. Was ich meine ist dies, daß die katholische Kirche, als eigentlicher Regent Europas im Mittelalter, ganz bewußt eine Struktur erschaffen hat, welche militärisch minimal belastbar ist, um die Folgen militärischer Konflikte innerhalb Europas zu minimieren.
Ich finde es im Übrigen recht amüsant, daß Andrzejewski Bantus, Massai und Sachsen als Beispiele kriegerischer Gesellschaften angibt, aber der Mann ist Pole, was soll man erwarten. Die Verfaßtheit der alten Sachsen ist übrigens recht kompliziert und läßt sich nicht so ohne weiteres unter seine Klassifikation bringen, da Kohäsion und Subordination bei ihnen sehr eigentümlich geregelt waren, einzig die hohe Partizipationsrate ist gesichert.
Aber um noch einmal auf das Mittelalter zurückzukommen, Andrzejewski behauptet, daß die einfallenden Germanen söldnerisch organisiert gewesen wären und in der Folge ihre Kohäsion verloren hätten. Das ist natürlich Quatsch, denn selbstverständlich hatten sie keine niedrige Partizipationsrate. Allerdings wäre ein zweifacher Übergang, zunächst von kriegerisch zu söldnerisch durch zusätzlich erworbene Untertanen und dann zu ritterlich durch rückläufige Kohäsion im Falle Frankreichs durchaus natürlich, bloß glaube ich das nicht so recht. Die Feudalisierung, die Auflösung des Corpsgeistes, wurde gezielt vorangetrieben, europaweit. Und ist also das Werk der katholischen Kirche, wohl aus dem genannten Grund.
Indes, der Instinkt zu einer hohen Partizipationsrate ist den mittel-, nord- und osteuropäischen Völkern nie abhanden gekommen, wie Andrzejewski in seinen Betrachtungen zu dem Aufkommen der modernen totalitären Gesellschaften zu Recht mutmaßt. Nun, da kann ich natürlich gleich weiter mutmaßen, daß dies auf einen signifikanten Anteil Versuchender an der Bevölkerung zurückzuführen ist. Materialisten erfüllten diesen Zweck natürlich auch, aber sie fehlen ja größtenteils in Europa, und außerdem sind sie subordinationsunverträglich. Nur, welche Bedeutung hat dies noch, wenn Macht nicht mehr durch heiße Kriege erworben wird?
Unter den Bedingungen des kalten Krieges zählt eine hohe Partizipationsrate nichts. Bruder- und Söldnerschaften sind die natürlichen Favoriten unter ihnen. Söldnerschaften besitzen indes den Mangel, daß sie in eine Tyrannei hinübergleiten können, ohne daß dies auch nur bemerkt würde. Und es sieht freilich danach aus, daß genau dies zur Zeit passiert.
Das heißt aber nicht, daß Bruderschaften die einzige Alternative wären, denn es gibt durchaus Möglichkeiten, Kriege wieder heiß zu machen, so lange man sie dabei nur für die Gegenseite unattraktiv genug macht, was heutzutage freilich nicht heißt, sich möglichst teuer auf dem Feld zu schlagen, sondern in erster Linie, ein größeres Chaos geschlagen als ungeschlagen zu hinterlassen. Man kann es auch gleich so angehen, daß man sich als derjenige verkauft, welcher einzig in einem bestimmten Gebiet für Ordnung sorgen kann. Und dabei spielt eine hohe Partizipationsrate selbstverständlich die entscheidende Rolle. Die Masse muß Chaos anrichten, damit ihre eigene Marionette sie befrieden kann. Religion ist dabei übrigens ungemein nützlich, da sie nicht rational hinterfragbar ist. Daß irgendjemand einfach nicht den richtigen Glauben hat, ist geradezu die ideale Ausrede dafür, Chaos anzurichten.
Die Afghanen haben all das wahrscheinlich schon vor langer Zeit verstanden.
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