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19. Oktober 2013

Ginkgo - ein Mißverständnis

Es ist wirklich kurios, wie aus einem buddhistischen Tempelbaum ein Sinnbild für die sublimeren Bestrebungen der bürgerlichen Eliten werden konnte.

Gut, Hype seit 300 Jahren. Und wie alle diese ersten Hypes des (heraufdämmernden) bürgerlichen Zeitalters von besonderer Langlebigkeit. Aber nicht irgendein Hype, sondern einer, welcher auf einer sonderbaren Einseitigkeit der Wahrnehmung beruht. Denn vom ganzen Baum sehen die Europäer für gewöhnlich nur das Blatt.

Und das ist bei einem Baum wie dem Ginkgobaum, dessen ganzer Wuchs Urtümlichkeit ausstrahlt, nicht gerade leicht nachzuvollziehen.

Es ist, genauer gesagt, das willkürliche Aufbrechen der Krone im Alter, weit stärker noch als bei Lärchen, und der dicke, runzelige Stamm, welche einen ausgesprochen starken und eindeutigen Eindruck ausüben, einen Eindruck von Ewigkeit, Unnahbarkeit und Rücksichtslosigkeit.

Und es ist wahrlich kein Wunder, daß der Baum als solcher zum buddhistischen Wahrzeichen wurde. Seine Blätter, die sind, buddhistisch bis ins Mark, Samsara, ein verführerischer und täuschender Reiz.

Und irgendetwas krampft sich in meinem Herzen zusammen, wenn ich ein Video sehe, in welchem ein Mädchen mit weit aufgerissen Augen den Baum hinaufstarrt und die sekündlich herabfallenden Blätter bestaunt: Wie zauberhaft!

Wie dumm! Wie instinktlos!

Ben Wagin pflanzt ihn gegen die menschliche Zivilisation, als Ausdruck eines Glaubens, welcher uns am liebsten ausgerottet und die Erde geheilt sähe. Der beste Baum auch dafür, wiewohl kein Lebewesen einer so groben Idee ganz entspricht und Stahl und Stein ihre besten Wahrzeichen bleiben, ironischerweise vielleicht, aber ist es wirklich Ironie - oder schlicht Irrsinn?

Das Archaische, gleich ob Ginkgo oder Atlantikwall, verweist auf die Unzulänglichkeit menschlicher Vernunft und die Notwendigkeit ihrer Berichtigung durch höhere Gewalt. Dies ist freilich charakteristisches Merkmal der tibetisch-japanischen Spiritualität, und hat sich als solches bewährt, aber von seiner Verpflanzung nach Europa ist abzuraten, gerade weil es so gar nicht verstanden wird, weil sich um es eine so benebelte Rede von Versöhnung und Ausgleich rankt, gestern und heute, Mensch und Natur, wo doch in Wahrheit nur Lehen und Tribut, die Zeit selbst, Wachstum und Krisis besteht.

Ich empfände Angst davor, einen Ginkgobaum anders als in ein Tal zu pflanzen. Ein Gewächs des Urgrundes, da darf es auch bleiben, auf Höhen herrschen sollte es nicht.

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