Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

4. März 2014

Goethes Märchen

Mehr durch Zufall stieß ich auf es, und es bietet sich wohl als zeitgenössischer Kommentar zur Halsbandaffäre an, kurz besprochen zu werden.

Beginnen wir mit dem Gewissen. Der jüngste Bruder ist Ludwig XVI, und der letzte tödliche Anschlag, welcher ihn all seiner ihm verbliebenen Weisheit beraubte, war just die Halsbandaffäre.

Es ist bezeichnend, daß die Irrlichter freigiebig mit dem Gold, welches sie zu sich nehmen, umgehen, um Veränderungen herbeizuführen. Sie erfüllen damit eine Erwartung, welcher Ludwig XVI und Marie Antoinette vorgeblich nicht nachkamen, während es Kardinal de Rohan aller Wahrscheinlichkeit nach schon tat, schließlich hat er die Halsbandaffäre ja wohl nicht nur eingefädelt, sondern das Halsband auch nachweislich bezahlt.

Nächstgewiß ist, daß der Riese den Pöbel darstellt, welcher sich unter den neuen Umständen ein letztes Mal ungeschickt aufführt, bis er seinen neuen, ungefährlichen Platz einnimmt, was ein recht eindeutiger Hinweis auf die Revolutionswirren ist. Weniger klar ist schon, welches dieser neue Platz ist, aber die Vermutung liegt nahe, daß es sich dabei um die Generationenschmiede durch die kollektive Abkoppelung von den Eltern handelt, welche in unseren Schulen als das Wunder der Pubertät zelebriert wird und durch die Kunstschaffenden in Film und Musik fleißig unterstützt, denn durch diese Schmiede läuft der Pöbel auf vorgezeichneter Bahn im Kreis.

Auch werden die drei älteren Brüder als Weisheit, Schein und Macht benannt, und das einzige, was daran zu klären ist, ist die Bedeutung des Scheins, als welcher wohl treffender Ruhm oder Ruf genannt würde.

Hier liegt selbstverständlich eine gewisse intellektuelle Schwäche vor, denn wer immer Macht hat, wird, sobald er sie zu Taten benutzt, einen bestimmten Grad an Weisheit an den Tag legen und sich dabei einen Ruf erwerben. Daß diese drei also zusammengehen mögen, heißt weniger als nichts.

Man könnte vielleicht einwenden, daß der Ruf ja nicht unbedingt der Wahrheit entsprechen muß, und daß hier also ein Zusammenspiel von Medien, Regierung und Weisen angemahnt wird, aber sonderlich klug wäre eine solche Mahnung auch nicht. Aus Sicht der Weisen kommt es nämlich stets darauf an, die Medien zu beherrschen und die Regierung auf zwei Träger zu verteilen, welche sich nicht gegen sie verbünden und somit von ihnen gegen einander ausgespielt werden können, weshalb die katholische Kirche eben die Predigt, das Königtum und die Juden hatte.

Also, um es ganz hart zu sagen, die drei älteren Brüder sind für'n Arsch, da läßt sich gar nichts lernen.

Die Schlange nun ist, immernoch mit recht großer Gewißheit, die revolutionäre Avantgarde, der Teil des Volkes, welcher die ihm vorgeworfene Weisheit verschlingt und sich für sie begeistert, also der Teil, auf dessen Gräbern das neue Regime errichtet wird. Historisch betrachtet werden hier die napoléonischen Kriege vorweggenommen.

Aber es gibt noch mehr zu der Schlange zu sagen, und da wird es ungewisser. Fährmann, Fluß und Brücke sind nämlich die schwierigsten Bilder. Dazu also später mehr.

Vielleicht ist die Lilie das Nächstgewisse, aber aus kontextuellen Gründen ziehe ich den Alten und die Alte vor. Wahrscheinlich ist der Alte die katholische Kirche und die Alte sind die Juden, denn erstens sind beide ja tatsächlich mit einander verheiratet gewesen und hätten bei Belieben ihren Bund nach der französischen Revolution erneuern müssen, und zweitens treffen die Beschreibungen ja einigermaßen zu, der Alte spendet ein erquickendes oder heiligendes Licht, welches zudem die Eigenart hat, eine bereits zuvor bestehende Erleuchtung vorauszusetzen, um einen Geist nicht erstarren zu lassen, und die Alte trägt leichter tote Dinge als die Früchte der Erde.

Und die Lilie? Nun, sie ist ein Symbol Frankreichs. Sie ist, recht wahrscheinlich, die nationale Inspiration, die Liebe für das Vaterland.

Und alles was jetzt kommt, kann ich wohl nicht mehr im engeren Sinne wahrscheinlich nennen, gut möglich, vielleicht sogar die wahrscheinlichste Deutung, aber ohne einen Anspruch auf Kanonizität.

Der Fährmann kann den Fluß nur von der Lilie weg zum Tempel hin überqueren, was auf die Zeit weist, genauer wohl auf den Erwerb von Erfahrungen, und dieser Erwerb muß aus der Beschäftigung mit der Erde stammen, das ist der Preis, welchen der Fluß für seine Überquerung verlangt.

Das eigentlich Problem und die eigentliche Verheißung von Goethes Märchen besteht nun darin, daß, wer einmal über den Fluß und an der Regierung (also im Tempel) ist, die Liebe zum Vaterland verliert, daß nur Einzelne sie in glücklichen Stunden wiederfinden oder alle, wenn es bereits dem Ende zu geht und das Volk Not leidet, bis schließlich das neue Regime eine Brücke über den Fluß baut.

Und was ist diese Brücke also?

Zum einen Lehre, welche den beschwerlichen Erwerb von Erfahrungen ersetzt, und zum anderen ein Mechanismus zur Ersetzung lahmer Glieder. Dadurch soll das traurige Schicksal der Menschheit ein für alle Mal aus der Welt geschafft sein, das grausame Gesetz der Natur gebrochen.

Aber es ist natürlich Blödsinn, daß dies überhaupt eine Neuerung ist. Die katholische Kirche hatte sich ja bereits zuvor so verhalten.

Eine Kirche proklamiert ihren Anspruch, verspottet ihre Gegner und mißt sich Leben bei, indem sie behauptet, ihr Programm sei Leben genug.

Nur ist damit nicht wirklich was gewonnen, statt zur Lilie trägt die Brücke zu einer Replik der Lilie im Tempel, und die Trennung besteht weiterhin. Kirchen können sonst gerne ihrem Geschäft nachgehen, aber Leben sollten sie sich generell nicht beimessen. Glaube lebt und läßt sich nicht besitzen, Kirchen können allenfalls ergänzende Bildung anbieten.

Labels: , , , ,