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7. März 2014

Zum sozialen Aspekt der Entortung

Ich habe über die Entortung so objektiv geschrieben, daß der Gedanke naheliegt, daß mir dieser Prozeß gleichgültig wäre, aber das ist er durchaus nicht.

Dabei ist es aber weniger die kindliche Form zu erzählen, welche meinen Widerwillen erregt, als die sozialen Konsequenzen daraus, sich zusammen auf eine Lebensführung einzulassen, welche in der kindlichen Form zu erzählen wurzelt, also an den Gegenständen nur mehr die Rolle zu erfassen, welche sie ausfüllen, und insbesondere an Personen.

Das ist keine Regression, Kinder erzählen zwar in der kindlichen Form, aber sie unterscheiden durchaus zwischen ihren Erzählungen und der Wirklichkeit. Die Entortung mündet hingegen oftmals in dem Bestreben sich und andere zeitlebens zu den Figuren der eigenen Erzählung zu machen. Es ist ein neues Phänomen, auch wenn es einen sehr ähnlichen Vorläufer im blasierten Verhalten hat. Der Unterschied besteht allerdings darin, daß bei letzterem die Reduktion einer Person auf ihre Rolle unterschwellig verletzend gemeint ist, während sie bei ersterer eine symmetrische Spielregel ist, deren Befolgung mit Wohlwollen registriert wird.

In einzelnen Fällen gab es das natürlich auch schon früher, das heißt bei extravaganten Persönlichkeiten, deren Spleen man aus Liebenswürdigkeit erwiderte, aber als Selbstverständnis einer ganzen Generation ist es nicht älter als 10 Jahre, genauer gesagt gerade so alt wie der Wunsch, Retroloveparades abzuhalten, was bekanntlich kein gutes Ende nahm.

Das ist durchaus ein Menetekel, noch nicht einmal eine Loveparade kriegt man so hin, aber es ist gar nicht einmal die Praxisuntauglichkeit dieser Lebensführung, welche mich ängstigt, sondern die Transformation der Innenwelt.

Wer sich einem solchen Spielverbund anschließt, lebt alsbald nur noch in den Regieeinfällen seiner Mitglieder, anders ausgedrückt, die Welt findet nicht mehr statt. Es kommt zu einem ausgesprochen merkwürdigen scheinbaren Paradox: Das soziale Leben steigert sich deutlich, während die sozialen Funktionen absterben, es entsteht ein hyperaktiver Verband, welcher immer weniger Gemeinschaftsaufgaben wahrzunehmen vermag.

Deswegen, weil wir unser soziales Leben gerade aus dem Grund drosseln, daß wir die Rahmenbedingungen sozialer Funktionsfähigkeit berücksichtigen müssen.

Eine Rücksicht, welche indes noch größer ist, und eben die Welt beinhaltet. Und wer möchte die schon verlieren? Niemand, der sie kennt. Gewiß, es braucht Zeit, sie in sich zu entfalten, aber dafür haben wir unsere Instinkte, daß wir uns in dieser Frage nicht irre machen lassen. Doch gerade dazu drängt die Entortung, und viele geben nach.

Oder drängt sie am Ende gar nicht selbst? Wer die Leinen zur Realität löst und in die kindliche Form zu erzählen flüchtet, würde der sich aus eigenem Antrieb zur Figur seiner Erzählung machen wollen?

Ich denke schon, aber qualifiziert. Er würde es sozusagen mit einem einzelnen Motiv versuchen, ausprobieren, wie es ihm in einer bestimmten Angelegenheit ergeht. Und damit ginge er nicht fehl, sondern folgte nur dem ihm von der Natur ausgelegten Pfad. Die Natur drängt ihn also nicht in ein MPRPG, in ein weltweit verstandenes Theater, sondern unsere Kultur.

Die Brave New World setzt diesen Verlauf voraus, und andererseits ergibt er sich demgemäß wohl aus der Maximierung des Bruttosozialprodukts, aber es ist nur eine Phase. Der Wahnsinn stirbt an seiner eigenen Blindheit in der Hölle seiner Träume.

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