Bereitschaftsbeitrag

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9. Oktober 2014

Theater

Um ein Theaterstück aufzuführen,
braucht es mehr als einen Akteur.
Selbst im Kasperletheater.

Der Sinn politischer Theateraufführungen besteht darin, eine zugleich greif- als auch kontrollierbare Handlung zu vermitteln. Dabei müssen nicht alle Akteure bewußt mitspielen, es genügt, wenn die Berichterstattung über ihre Taten dem Drehbuch entspricht.

Allerdings verursacht letzteres durchaus Schwierigkeiten, ähnlich wie beim Wetter lassen sich auch die Taten fremder politischer Kräfte nur unter dem Einfluß der gegenwärtig herrschenden Lage vorhersagen, so daß eine derartige Aufführung langfristig als solche erkannt werden wird.

In früheren Zeiten bestand noch die Möglichkeit, sich als Schutzherr gegen alle feindliche Unbill zu inszenieren, aber unser Leben ist behüteter, abgesicherter, und so haftet allen monumentalen Selbstinszenierungen der Moderne von Beginn der Verwesungsgeruch an.

Freilich, je unspektakulärer die Inszenierung, desto länger ihre natürliche Lebensdauer, und die Erhöhung des Lebensstandards der Bevölkerung ist ein sehr genügsames Drehbuch. Andererseits darf ein Drehbuch aber auch nicht zu genügsam sein, etwa das der Verteidigung des Anstands, sonst folgen ihm die Menschen nicht.

Was liegt in dieser Situation also näher, als mehrere Akteure bewußt mitspielen zu lassen?

Auf diese Weise läßt sich alles inszenieren, was man gerade vermitteln will, und zu keiner Zeit besteht die Gefahr, daß sich zwischen Drehbuch und Wirklichkeit ein unübersehbarer Abgrund auftut.

Das einzige Problem dabei ist die geringere Bereitschaft eines zweiten Akteurs bewußt mitzuspielen: das Stück dient ja jemandem und geht zu Lasten anderer. Doch wenn die erreichte Verständigung der beteiligten Akteure nur verborgen bleibt, steht hier ein mächtiges Werkzeug zur Verfügung.

Denn die Menschen, vor allem leistungserwartende, suchen nach Aufgaben, um sich an ihnen zu beweisen, und sie ordnen sich jenen unter, welche ihre Aufgaben erfolgreich bewältigen, was im Rahmen von Theaterinszenierungen beliebig steuerbar ist.

Die Gefahr für den Zuschauer liegt dabei in der Verzerrung seiner Interessen und der darauf beruhenden Verzerrung der Leistungen bei der Verfolgung dieser. Und um sich also zu schützen, müßte er protokollieren, wer von welchem berichteten Ereignis in welchem Ausmaß betroffen ist.

Denn wenn nur noch solche Ereignisse berichtet würden, welche die Menschen mehr als alle anderen beträfen, ließe sich kein Theaterstück mehr finanzieren. Schützt sich der Zuschauer hingegen nicht, geht es ihm irgendwann an's letzte Hemd, und die Macht der Inszenierung zerbricht auch.

Freilich, dies setzt voraus, daß die Theatertreibenden nicht zugleich willens und weise genug sind, das Stück so zu gestalten, daß es den Zuschauern frommt, indem es die wesentlichen Aufgaben des Lebens gleichnishaft aufführt, sondern stattdessen ihre Standesinteressen verfolgen.

Aber wird es bis zum letzten Hemd gehen? Oder verflüchtigt sich die Wirkung des Zauberspruchs zuvor?

Läßt sich überhaupt ein Leben wollen, welches nicht einer Inszenierung folgt?

Ich meine, selbst einer offenen nicht, in welcher die Besetzung der Rollen nicht feststeht.

Freilich macht es einen Unterschied, ob die Besetzung der Rollen feststeht oder nicht. Ersteres ist ungerecht. Aber auch wenn das Schicksal selbst bestimmt, wer welche Rolle spielt, bleibt das ganze Stück doch vorhersehbar und dadurch etwas langweilig.

Es ist möglich, aber nicht ohne die politische Zurückdrängung der Leistungserwartenden, nicht ohne, daß sie zurückstehen, ihre Ansprüche zurückschrauben, sich flexibel zeigen. Die große Erzählung ist ein Anachronismus, eine Lüge. Wir brauchen Siedler, keine Planer.

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