Bereitschaftsbeitrag

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25. September 2014

Vier Barken

Ich verfolge die Ausgrabungen in Amphipolis, und dazu sind mir einige Gedanken gekommen, welche ebenfalls in Beziehung zu den ersten Beiträgen dieses Blogs stehen.

Die beiden Karyatiden sind hinreichend fremd, um sich bei ihrem Anblick über einige grundsätzliche Punkte klar zu werden. Nachdem ich die Angelegenheit nun schon ein paar Tage in meinem Kopf hin- und herbewegt habe, möchte ich diese beiden, mit einander zusammenhängenden Punkte hervorheben.
  1. Der dreieckig nach oben zulaufenden Ausschnitt des Obergewandes, welcher den Schoß entblößte, wäre das Untergewand nicht, vermittelt ein Gefühl der Furcht vor den Konsequenzen der Verfolgung des Weiblichen.
  2. Abgesehen davon liegt in ihrem Blick eine stille Drohung von der Art, es sich gut zu überlegen, an sie heranzutreten, da sie ungnädig gegen jene sein wird, welche ihr nicht gewachsen sind. (Sie ist übrigens 2,27 Meter groß.)
Zum ersten Punkt ist zu sagen, daß hier das exakte Gegenteil eines modernen Schwimmanzuges vorliegt. Während bei jenem ein nach unten zulaufenden Dreieck den Schoß bedeckt, legt ihn bei den Karyatiden ein nach oben zulaufendes frei. Und was die Wirkung betrifft, will sie mir auch gegenteilig erscheinen: Der Schwimmanzug verhehlt die Weiblichkeit, das Obergewand stellt sie heraus, ersterer rühmt die Athletik, letzteres warnt vor dem Gebären.

Und damit gleich hinüber zum zweiten Punkt. Die Gesinnung alleine ist schon strafbar. Diese Frauen wählen sich nur, was vor ihnen besteht, und mit solchem kriegte es jeder Unwürdige zu tun, wenn er seinen Platz verließe.

Wir hingegen lassen jeden machen, bis er sich tätlich ins Unrecht setzt.
der war mit einer Wolke bekleidet, [...] sein Antlitz wie die Sonne und Füße [Beine] wie Feuersäulen
Ob nun so oder anders, unsere Zurückhaltung läßt die Machbarkeit sich bis zu ihrem innewohnenden Ende entfalten.

Schwenken wir nun zum Thema dieses Beitrags um. Die Karyatiden und ihre Gewänder sind Artefakte einer versunkenen Kultur, und es liegt im Wesen solcher Artefakte, daß aus ihnen die Sitten ihrer Erzeuger sprechen, mithin dienen sie als Barken bei der Übermittlung kulturbestimmender Haltungen.

Was Artefakte für die Haltung einer Kultur sind, sind Texte für ihre Begrifflichkeit.

Und was den körperlichen Zustand einer Kultur betrifft, so wird er durch Gebrauchsgegenstände übermittelt.

Wenn man diese Reihe ansieht,
  1. Gebrauchsgegenstände,
  2. Artefakte,
  3. Texte,
so läßt sich ein Übergang vom Materiellen zum Geistigen konstatieren. Und so gesehen ließe sich schon glauben, daß die Übermittlung von Glauben sich durch keinerlei körperlichen Einfluß vollzieht, sondern durch die Gegenwart des zwischen seiner Schöpfung vermittelnden Gottes, daß alles, was an Seinsbejahung in ihn eingesickert ist, erst schöpferisch und dann auch anleitend auch wieder aus ihm herauswächst.

Der materielle geistige Horizont findet in der Gestaltung von Gebrauchsgegenständen seinen Sinn, der persönliche in der Gestaltung von Artefakten und der philosophische in der Gestaltung von Texten.

Und der gläubige?

Der gläubige in Annahme der Leitung und Vertrauen auf das Gebet. Amen.

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