Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

22. April 2015

Der Seewolf (1971)

Erinnerungen, Erinnerungen. Auf Booten riecht es nach Lack. Einen Sommer stand eines zur Wartung bei uns in der vermieteten alten Scheune. Wir durften natürlich drin rumklettern, mein Bruder und ich. Wie alt ich wohl war? Es muß die Zeit gewesen sein, als Luftaufnahmen noch etwas Faszinierendes für mich hatten, unser Hof in Öl, auf der Grundlage einer Luftaufnahme, mein Vater bestand darauf, das Dach der Wellblechscheune nachschwärzen zu lassen, weil er es in der Zwischenzeit frisch geteert hatte, ich fand es bescheuert, zu deutlich war der Eingriff zu erkennen. Wir holten Stroh aus der Nähe von Bad Segeberg und vermieteten einmal im Jahr Stellplätze für Pferde, wenn der örtliche Reitclub, welchen mein Großvater mitgegründet hatte, die Gründungsurkunde hing stolz bei ihm im Flur, die deutschen Meisterschaften im Springreiten austrug.

Neben der Miete bekamen wir selbstverständlich auch Freikarten.

Tja, meine Kindheit war von derselben Schönheit wie meine Zeit beim Bund. Ein Haufen Erinnerungen, die Rhododendren im Park in Blankenese, wo ich immer vor oder nach irgendeiner Gymnastikveranstaltung dort, an welche ich mich allerdings nicht erinnern kann, umherlief, aber grundsätzlich: ein Verließ!

Wenn ich heute die Unzufriedenheiten meines Sohnes sehe, nehm' ich's mit Humor. Wozu ihm beibringen, daß es nicht immer nach seiner Nase geht? Freilich, etwas disziplinierter dürfte er gerne sein.

Aber gut, der Seewolf.

Um was es Jack London wohl ging? Eine leicht verschleierte Liebeserklärung an Wolf Larsen, seinen Charakter und seine Weltsicht?

Jedenfalls fiel und fällt es mir schwer, ihn unter der Rubrik böse zu verbuchen. Was soll man ihm schon groß vorwerfen? Daß er sich mit Menschen umgibt, denen gegenüber er sich als Herr aufspielen kann, wenn nicht gar muß?

Gut, das stimmt schon, das ist ein Makel, aber doch kein gewaltiger. Über weite Strecken wirkt die Serie also wie neidisches Gezischel. Larsen ist kein Dieb, selbst wenn er stiehlt: Er baut sein Reich aus eigener Kraft und verteidigt es. Warum desgleichen gleich mit Luzifer in Verbindung bringen? Die Dame hätte auch gleich sagen können, er sei die Venus; das wäre in etwa genauso passend gewesen. So gesehen also schon eine etwas seltsame Geschichte, welche Jack London hier erzählt.

Nun gut, vielleicht ist es nicht die Geschichte, die seltsam ist, sondern nur die Weise, wie sie erzählt wird. Denn worum geht es im Ganzen?

Van Weyden ist froh, nicht wissen zu müssen, wie man eine Fähre steuert, damit er sich auf's Schreiben von Film-, äh, Buchkritiken verlegen kann. Ein Hoch auf die Arbeitsteilung! Dann trifft er Frisco Kid, alias Wolf Larsen, und lernt am Ende doch noch was, was ihn überhaupt erst in die Lage versetzt, das zu tun, was ihm wirklich gefällt.

Doch Larsen übertreibt es natürlich auch. Er reduziert seine unmittelbaren Mitmenschen zu Werkzeugen und leidet folglich darunter, nicht Teil einer größeren Gemeinschaft zu sein. Es gilt die goldene Mitte zu halten, und was wäre also zweckmäßiger, als eine Geschichte um die beiden Pole zu stricken, zwischen welchen sich diese Mitte befinden muß?

Das ist nicht seltsam, seltsam sind nur Liebeserklärungen an Harmstorfs Bizeps und der Wunsch, ihn mit den eigenen Händen zu erledigen.

Abgesehen von dieser etwas hysterischen Grunddisposition ist die Serie natürlich auch etwas zu redundant, wenn sie ständig auf der Spur von Schopenhauer, Darwin und Nietzsche kriecht, um genau das in Folge zu verdammen, ohne dabei auch nur irgendeinen synthetisierenden Gedanken zu entwickeln. Ob Jack London meint, daß, wenn der Natur das einzelne Leben nichts wert ist, dies ein sozusagen wissenschaftliches Urteil wäre, welchem der rational denkende Mensch also auch im Sinne der Beachtung eines Naturgesetzes folgen sollte?

Wahrscheinlich. Letzten Endes verletzte Eitelkeit, denn wir sind der Natur keineswegs nichts, doch eben nur bedingt etwas wert, und auf Kosten anderer zu leben ist keine Frage der Einsicht in das Wesen der Natur, sondern eine Frage der Rolle, welche ich als Mensch ausfüllen möchte. Wenn ich sage: Die anderen arbeiten meinem Interesse zu, so habe ich es aufgegeben, mich an der Entfaltung des Wunders, welches im Menschen steckt, zu beteiligen.

Und was das wissenschaftliche Aufrechnen des Rechts der Vielen gegenüber dem Recht der Wenigen angeht: Es ist zuweilen unvermeidlich, aber stets zu vermeiden. Wollen wir das nicht gleich paradox nennen. Der Mensch ist von Natur aus nur für seine Familie verantwortlich, darüberhinausgehende Hierarchien sind Notbehelfe. Und Not muß Not bleiben, damit Freiheit und Würde des Einzelnen bleiben.

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