Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

15. Juni 2015

Die Aufklärung


Die Welt bietet mir nicht die Möglichkeiten, welche ich verdiene. Und meine Freundin findet das auch.


So, das wird jetzt sehr unangenehm, aber wir kommen da schon durch.

Ich war diesen Sonntag in Barclay de Tolly's Mausoleum. Ein eigenartiger Ort, als hätte nicht ein Deutschbalte, sondern Napoléon selbst das Mausoleum gebaut: Abgesehen davon, daß Napoléon es niemals dahin gebaut hätte, wohin die Hinterbliebenen Barclay de Tolly's es bauen ließen, nämlich auf ihr Gut im südestnischen Nichts, ist hier alles im imperialen französischen Stil gehalten, bis hin zu den Plaketten auf den Särgen. Kein zweites estnisches Bauwerk spielt auch nur auf ihn an.

Ich weiß nicht, ob es eine Hommage oder Spott ist. Oder gar eine Botschaft?: Wir wissen um alles, auch um unsere Grenzen.

Warum läßt man sich wie der Feind zur Schau stellen? Warum in seinem Stil, an einem Ort, an welchem kaum jemand davon Notiz nimmt? Daß Barclay de Tolly zunächst in der Nähe Insterburgs zur Schau gestellt wurde, tut nichts zur Sache, denn dabei handelte es sich um einen Zufall: Er starb auf der Durchreise und man behielt ihn da.

Ist es nur der Mantel der Geschichte, welcher Barclay de Tolly gestreift hat, und dessen Saum man auf diese Weise festhalten wollte?

Diese Zeit und ihr Stil sind sonderbar. Es geht eine enorme Unmittelbarkeit von Napoléons Partei aus, die narzißtische Kränkung ihrer zentralen Figuren, wie oben die Murats, ist mit Händen zu greifen: Nie wieder diesen Mist! Eure Zeit ist vorbei!

Es fehlt jedes Bewußtsein für Kultur, alles ist selbstverständlich, und ihre Lösung für Staatsaufgaben ist einfach: Gibt es ein öffentliches Interesse, so soll ihm der Beste gegen Bezahlung nachkommen.

Sie stehen auf sicheren Füßen, sie besitzen das technische Wissen der Zeit und eine Lebensauffassung, welche sorgfältig auf ein erfülltes Leben hin entwickelt und gelehrt wurde - nur wissen sie das nicht. Sie halten sich für würdig, aber ausgeschlossen, und verlangen, der Welt beweisen zu können, daß sie ihr gewachsen sind.

Natürlich haben sie in Rußland nichts zu suchen: Buchstäblich! Denn was gibt es in Rußland außer Holzhacken, Pilzesammeln und so weiter? Während die katholische Kirche bukolische Sehnsüchte entfesselt hat, gilt die Sehnsucht des Ostens der Klarheit und dem Frieden, und nicht Milch und Honig in Strömen und Brathähnchen, welche einem in den Mund fliegen.

Hesse verherrlicht dieses andere Ideal im Glasperlenspiel, die munteren, wissenden, strahlenden blauen Augen! Ich sehe sie des öfteren, vorgestern und gestern, nicht nur auf dem Bild Bennigsens, von welchem es leider keine angemessen hohe Auflösung im Netz zu geben scheint. Die nötige Intelligenz und Disziplin vorausgesetzt, ist es gar nicht schwer zu erreichen. Ich halte mich gern im Lemurenhaften, aber ich weiß um jenen Geist, und es ist mir eine Freude, in seiner Gegenwart zu verweilen. Murats moderner Wiedergänger dürfte Howard Stern sein. Ich glaube, ihm gegenüber empfände ich sie nicht.

Nun, die Bannzeichen stehen und wirken noch, mein Sohn übrigens: Das ist 200 Jahre alt, aber so schön!, den Triumphbogen mochte er auch schon (sein Pappmodell), aber die Lage ändert sich, es ist eine Art Erosion, welche ironischerweise die Erosion der Monumente übertrifft: Je mehr Zeit vergeht, desto jünger werden diese. Dasselbe gilt übrigens auch von der Generationenkette: Die Alten halten der Erosion besser stand als die Verjüngten, welche sie in ihrer Jugend in sich aufsaugen, und jene alsbald an Alter übertreffen.

Es ist so herrlich süß zum Tode.

Welche Ironie. Daß bukolische Genüsse die Welt so überwinden lassen, wohingegen jene, welche die Welt überwinden wollen, sich beharrlich in ihr halten.

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