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23. Juni 2015

Philip Kindred Dick's Metaphysik

Passend zu Johannisnacht und -tag, eine eingehende Beschäftigung mit Philip Kindred Dick's Interview aus dem Jahre 1979.
I was beginning to sense that what we perceive is not what was actually there. (20:31)
Dick geht von der Empfindung der Unvollständigkeit des Bewußtseins der immanenten Welt aus, welche in ihm gegenüber seiner Mathematiklehrerin, deren Andersartigkeit er durch immanente Betrachtungen nicht hinreichend zu erklären vermochte, aufstieg, um dann aber nicht wie Schopenhauer die Welt der Vorstellung als ausgedehnte Oberfläche zu beschreiben, hinter welcher der Wille in die Tiefe geht, oder wie ich als Welt der Erwägung, hinter welcher die Welt des Beschlusses steht, sondern indem er an der Stelle der gegebenen immanenten Realität eine andere immanente Realität vermutet, im Falle seiner Mathematiklehrerin etwa, daß sie in Wirklichkeit ein Automat sei.

Die Andersartigkeit, welche Dick da ausgemacht hat, ist übrigens das Resultat zweier gänzlich erwägender Bewußtsein, welche innerhalb gänzlich verschiedener Bereiche erwägen, denn es ist ein Charakteristikum der Erwägung, daß ihr Geist, ihre Identität, einzig von den Dingen abhängt, welche sie erwägt, das ist sozusagen beschlossen, und Schopenhauer nennt dieses Phänomen die Selbstentfremdung des Willens. Und auch Dick sieht das trotz seiner mechanistischen Auffassung der Unzureichendheit der immanenten Welt ganz genauso:
If I can make you see the world the way I see it then you will automatically think the way I think, you will come to the conclusions I come to. If I can control your perception. (28:18)
Aber während Schopenhauer das Übel in der Einseitigkeit des Bewußtseins, der Ausblendung des Willens ausmacht, welche die Wahrnehmung der fundamentalen Gemeinsamkeit verhindert (des tat twam asi, das bist du), sieht Dick es in der Angleichung zweier Erwägungen.

Nun, Viele, mich eingeschlossen, kennen sie aus dem ersten Semester Mathematik, wenn man in der Tat das unangenehme Gefühl hat, seine eigene Welt gegen eine andere, nicht unbedingt reichere, einzutauschen. Dennoch, ich habe mich damals überwunden, darauf vertrauend, daß ich schon nicht von meinen eigenen Fragen abgeschnitten würde. Und wenn ich auch über eine gewisse Strecke viele schöne Zusammenhänge, welche ich während meiner Schulzeit gefunden hatte, vergessen hatte, was indes schon während meiner Bundeswehrzeit einsetzte, war mein Denken damals doch zu ungerichtet, zu sehr in alle Richtungen gleichzeitig gehend, als daß ich den Fragen, welche mich damals am meisten interessierten, erfolgreich hätte nachgehen können, also ohne mich hoffnungslos zu verwirren.

Diese Ungerichtetheit des Denkens aufzuheben ist sicherlich auch die edelste Bedeutung, welche man uni-versal, auf eines gerichtet (nämlich die Definition), und damit der Institution der Universität geben kann.

Für Dick überwiegen hingegen die Nachteile der Angleichung, er sieht die politische Dimension, den Staat, welcher das Denken seiner Bürger durchdringt und nach seinen Wünschen formt - eine Gefahr, welche natürlich auch in den portugiesischen Staaten von Amerika (soweit ich weiß, hat der Papst die Linie woanders gezogen, aber egal), im Heimatland des Marketings, durchaus gegenwärtig ist.

Dabei geht Dick vom Unbewußten als der Quelle der unterschiedlichen Sichtweisen auf die Welt aus, eine Konstruktion, welche inhärent darauf hinausläuft, daß jeder seine dunklen Flecken besser für sich behalten sollte. Das ist in meinen Augen so allgemein gehalten, daß ich es ehrlich gesagt nicht weiter kommentieren möchte. Dick allerdings knüpft später daran an, wenn er sagt:
The irrational is the primordial stratum of the universe. It comes first in time and it is primary in ontology, in levels of essence, and it evolves from irrationality, chaos and blindness, into rationality, that is the irrational gives birth to the rational, and that the history of the universe is a movement from irrationality, which means chaos, cruelty, blindness, pointlessness, generates evolution out of it, a rational structure, which is harmonious, which interlocks, which is interlinked in a way that it is orderly and beautiful and harmonious, but this comes into existence only fitfully, slowly, sporadically, like lightning discharges, here and there, that is not ubiquitous. (1:20:40)
Und das möchte ich kommentieren. Nicht so sehr inhaltlich, wozu nur zu sagen ist, daß Schopenhauer dies bereits korrekt erklärt hatte, wovon Dick wohl nichts gewußt hat, andernfalls er nicht vier Jahre gebraucht hätte, um das zu formulieren, und der Rest menschliche Subjektivität ist, welche ich Dick, und auch mir selbst, gerne gönne, denn ob das Geschehen in der Natur ordentlich oder chaotisch erscheint, hängt nur davon ab, welche Distanz man zu ihm einnimmt, was sogar popkulturell in dem Song From a distance (God is watching us, from a distance.) zum Ausdruck gebracht wurde, sondern vielmehr auf die religiösen Erfahrungen, welche Dick zu dieser Sicht der Dinge gebracht haben, und die subjektive Notwendigkeit dieser Sicht für Dick bezugnehmend.

Ich mußte den Brunnen vertiefen, das Grundwasser war anderthalb Meter gesunken, also mußte ich den Schacht, in welchem das Wasserrohr verlegt war, ausheben und auch vertiefen. Und neugierig, wie Mäuse so sind, ist eine gleich in den Schacht gelaufen. Ich wollte sie mit dem Spaten rauswerfen, aber als ich in den Schacht gesprungen bin, ist sie mir direkt unter den Gummistiefel gelaufen. Sie war gleich tot, ich kenne den Reflex auch, in Gefahr sofort das Dümmste zu tun, dann geht sie wenigstens vorbei. Um ehrlich zu sein, es mag gut sein, daß ich die Maus im Sinne eines funktionalen voranschreitenden transzendenten Akts hypnotisiert habe. Und ich glaube, Dick hat sich seine Rattenhorrorgeschichte auch selbst erzeugt, aus demselben Grund, aus welchem ich mir einmal einen Autounfall erzeugt habe: Dick hat angefangen, für sein Leben eine Schuld zu empfinden, im Sinne eines Preises, welchen er für es bezahlen müsse. Ich schrieb vor kurzem über den dem zugrundeliegenden Mechanismus, es handelt sich um einen Aufruhr, nämlich den Aufruhr des Beharrens auf dem eigenen Leben unter Fremden, für welchen man gerichtet werden wird, und das beginnt einem irgendwann klar zu werden.

Dick wurde faktisch erlöst, freigesprochen, und aus seiner Stimme spricht die Heiterkeit, welcher derjenige empfindet, der erfahren hat, daß es Grund zur Zuversicht gibt.

Der Mensch lebt nicht, um sich zu ernähren, sondern um Entwicklungsperspektiven aufzudecken. Und Dick hat eine Entwicklungsperspektive für die Menschheit gefunden, an welche er glaubt, und in diesem Glauben wurde er gerichtet und bestätigt.

Meine Lage ist etwas anders. Meine Besorgtheit gilt keiner geschichtlichen Alltagserscheinung wie der Oszillation zwischen Republik und Imperium, sondern der äußersten Krisis der menschlichen Kondition in diesem Zeitalter. Dick hat seinen Aufruhr zum Schiedsspruch gebracht, indem er sich zu einem Krieger der Republik gemacht hat, und ich weiß wohl, für welche Sache ich kämpfe, aber manifeste Gegner, wie Nixon in Dick's Fall, gibt es für mich nicht, ich kämpfe eher... gegen das Nichts. Deshalb fühle ich mich auch nicht von meiner Lust an der Verwicklung, um Dick's Diana einmal so zu nennen - ich bin vielmehr meine Lust an der Verwicklung -, sondern von meiner Anteilnahme geführt (wenn du aber alt wirst...). Diesbezüglich bin ich also wohl das genaue Gegenteil Dick's.

Verwicklung und Anteilnahme sind die beiden Modi sozialer Interaktion, die Anteilnahme fragt, was der andere empfindet, die Verwicklung, was er fortan tun wird, die Anteilnahme betrachtet ihn als gewichtig, die Verwicklung die Reflexe, aus welchen die soziale Dynamik hervorgeht, die Anteilnahme sieht den Einzelnen, die Verwicklung das Netz.

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