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27. September 2015

Maria

Gestern war ich im katholischen Männerkloster in Viļāni, die mir nächste Manifestation des Katholizismusses noch diesseits der Düna. Die Anlage, einschließlich der St. Michaelskirche, ist ein weißbeplasterter Barockbau, bewacht von zwei Engelsstatuen mit unschuldigen, nichtssagenden, aber leicht distanzierten Gesichtern und bestückt mit allerlei körperlichen Darstellungen Gläubiger: Bischöfe, artige Kinder, Jesus Christus natürlich - und Maria.

Begrenzt, wie der Klostergarten ist, fühlt man sich fast wie bei Madame Tussaud, und der ganze Naturalismus mit seiner ganzen Unnatürlichkeit, steinerne Flügel vorneweg, Gesichtsausdrücke hinteran, läßt in einem so etwas wie Zustimmung zu einem generellen Bilderverbot aufkommen, aber dann kreuzte mein Weg doch noch eine Statue, in welcher sich eine Idee ausdrückte, nämlich die Marias.

Sie steht links hinter der Kirche, symbolische Herzdarstellung auf der Brust, ein unschuldiges, nichtssagendes, aber zugewandtes Gesicht, den Wunsch verkörpernd, gut sein zu dürfen.

Natürlich ist sie ein Gott, nämlich der Gott der Kirche selbst, denn dieser Idee nach eifert sie ja. So paßt denn auch alles einfach zusammen: Der Zölibat als notwendiges Gelübde, um Maria nicht zu verraten und zu vergessen. Und wie Maria auch, strebt die Kirche danach, Kinder Gottes zu gebähren.

Die katholische Kirche folgt keiner Überzeugung - sie folgt einer Leidenschaft.

Und so jeder Überzeugung wert der Kern dieser Leidenschaft auch ist, schert sich der Leidenschaftliche nunmal nicht um seine Fehler und Verirrungen, sondern hält trotzig an ihnen fest, was auch den Grund für die mißliche künstlerische Ausstattung des Klostergartens und des Innenraums der Kirche legt: Grüner Marmor, leuchtende Farben, blasse Maria mit zuviel Lippenrot - eine Welt, wie aus den Märchen der Gebrüder Grimm.

Gelebte Heiligkeit ist schwierig, auch im orthodoxen Frauenkloster in Kuremäe fühlte ich mich nicht ganz wohl, schön dort der Gemüseanbau und die für den Winter gestapelten Holzscheite, störend die von Zweifeln begleitete Unterordnung unter die Liturgie, am schönsten im Männerkloster in Viļāni sicherlich die Blumen vor den Balkonen - ein Hauch von Frankreich.

Die Mönchen waren klug genug, sich nicht blicken zu lassen, nach ihren Blumen vor den Balkonen zu urteilen, Intellektuelle, welche Bücher verfassen - hier zeigte sich eine dem Rest des Klosters gänzlich fremde Liebe für das maßvoll Geordnete mit einer geradezu abschätzigen Note für die Pracht der Blüten, aber vielleicht wird die Marienleidenschaft an einem solchen Ort ihrer Verherrlichung ja sogar Katholiken zuviel, wiewohl den alten Frauen, welche in der St. Michaelskirche ihren Betdiensten nachgingen, scheinbar nicht.

Ich war übrigens nicht vorsätzlich dort, sondern weil Viļāni auf dem Weg nach Jēkabpils lag, wohin ich wollte, um Wassernüsse zu stehlen, also genauer gesagt noch darüber hinaus, aber die Details dieser wahrlich abenteuerlichen Aktion auf den Spuren von Wildschweinen und Elchen durch's Dickicht sollte ich besser nicht ausbreiten, jedenfalls stellte sie, im Nachhinein betrachtet, ein Glaubenserlebnis der Art Eli, eli, lama asawtani? dar.

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