Bereitschaftsbeitrag

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21. Februar 2016

Man darf einen Wolf nicht im eigenen Garten sitzen lassen.

Ich habe mich in den letzten Beiträgen mit der Frage des Gedankenaustauschs zwischen Menschen beschäftigt. Im Kleinen ist er multilateral und symmetrisch, im Großen unilateral und asymmetrisch, so daß die gedankliche Prägung im Großen strikt zu reglementieren ist, um eine natürliche gedankliche Entwicklung der Menschen zu ermöglichen.

Vormals bestand ein wesentliches Hindernis für die gedankliche Prägung im Großen in ihrer Machbarkeit. Die Beschreibung des zweiten Tieres in der Offenbarung, als des Mediums, welches die Taten des ersten Tieres allen Menschen vor Augen stellt, markiert die Überwindung dieses Hindernisses. Seitdem sind wir gänzlich auf unsere eigenen Vorkehrungen angewiesen, um den negativen Auswirkungen gedanklicher Prägung im Großen zu entkommen.

Es gibt dabei dreierlei Reglementierung.
  1. Ermöglichung des Widerspruchs
  2. Begrenzung der Zuständigkeit
  3. Konsensuale Bindung des Repräsentanten
Das Mittelalter ist eine Zeit, in welcher die letzten beiden Methoden der Reglementierung Verwendung fanden, die erste hingegen nicht, und in der Neuzeit verhält sich dies genau umgekehrt.

Zu bemerken ist, daß die letzten beiden Methoden Machtverhältnisse begründen, während die erste Methode ein Machtverhältnis voraussetzt.

Genauer gesagt setzt der wirksame Widerspruch zwei Dinge voraus, welche naturgemäß nur schwerlich zur vollen Zufriedenheit gewährbar sind, nämlich
  1. umfassende Kenntnis aller relevanten Fakten und
  2. umfassende Verbreitung allen relevanten Widerspruchs,
und entsprechend zeigen sich in der Neuzeit überdeutlich die Bahnen, auf welche gezielte Fehlinformation und die Voraussetzungen der Verbreitung die Menschen führen.

Wahr ist, daß über tausend Jahre lang Menschen im westlichen Kulturkreis nicht derart blind geeifert haben.

Die kurze Zeit, in welcher der Teufel frei nach seinem Belieben schaltet, mag sich nun ihrem Ende zuneigen, aber das erspart uns nicht, uns Gedanken über die Bedingungen dieses Endes zu machen.

Die beiden großen Tendenzen unserer Zeit, die Filterung des Inhalts der Sprache nach Ordnungsanmaßungen und ihrer Form nach Wiedererkennbarkeit, negativ und positiv, respektiv, gehören noch nicht zum Reich des Guten. Die Welt braucht weder Formeln, noch die Affirmation der herrschenden Ordnung durch Schweigegelübde - nicht zuletzt von der Art, gerade keinen schlechten Film gesehen zu haben.

Wir brauchen Erkennbarkeit und Verläßlichkeit, Gruppen, welche erklären, wo sie stehen, und ihren Standpunkt verteidigen. Innerhalb dieser Gruppen Überschaubarkeit, und unter ihnen Anerkennung unterschiedlicher Zuständigkeit. Auf ihnen aufbauend, konsensuale Vertretung im übergeordneten Rahmen.

Die Schlüssel sind:
  1. Freiwilliger Eintritt
  2. Verwaltung des Eigenen
  3. Persönliche Bekanntschaft
  4. Gebundenheit an den Willen der Bevollmächtigenden
Und der Wolf in unserer Mitte wird uns zum Anschluß drängen, weil die richtigen Stichworte fallen.

Nachtrag. Es sind wirklich oftmals die geringsten Kleinigkeiten, welche einen wütend machen. In der lange Liste neuzeitlichen blinden Eiferns in Folge unilateraler asymmetrischer Gedankenprägung ist das vorläufig letzte Kapitel, die gegenwärtig verordnete Bußfertigkeit, bisher kaum der Erschütterung wert, aber sie trägt einen blasphemischen Zug - und der erzürnt mich.

Ich sah einmal wieder den Seewolf Harmstorf und dachte so bei mir: Naja, Abenteuerromane dürften damals noch bei Vielen in hohem Ansehen gestanden haben, aber erst die Vergewisserung durch die Produktionsnotizen, daß Walter Ulbrich schon in den 30'ern davon geträumt hatte, Jack London zu verfilmen, schloß den Bogen zu diesem Beitrag.

Nota bene: Wenn alle Deutschen etwas bestimmtes tun wollen, dann bringt auch einer von ihnen die Initiative auf, es tatsächlich zu tun.

Es handelt sich also um eine Folge der hier besprochenen gedanklichen Prägung, und zwar im Modus der Nachwirkung. Aber was diese Nachwirkung angeht, bemüht sich Ulbrich etwa nicht ehrlich darum, Jack London's Welten dem deutschen Publikum nahezubringen? Ich habe jedenfalls keine andersgearteten unterschwelligen Absichten bemerkt.

Es wäre leicht gewesen, Larsen's Gestalt das Pathologische, die Selbstbeschränkung auf Plünderung, zu nehmen, in welcher sich seine Unsicherheit in menschlichen Beziehungen widerspiegelt. Es wäre leicht gewesen, sein dramaturgisches Gewicht zu erhöhen, ihn zu einer wahrhaft tragischen Figur zu machen. Das hat Ulbrich aber nicht getan, er hat es vorgezogen, van Weyden eine Entwicklung durchmachen zu lassen, und Larsen dadurch zu relativieren.

Ulbrichs Seewolf ist eine Aufarbeitung seiner eigenen unilateral asymmetrisch erlittenen gedanklichen Prägung, und damit eine Auseinandersetzung mit ihr in Form der Buße.

Die Prägung war unilateral und asymmetrisch, aber die Buße war individuell. Das Trauma wurde im Großen zugefügt, aber jeder konnte es für sich im Kleinen bewältigen.

Der Weise fragt nicht danach, ob die Buße das Gebüßte aufwiegt, der Weise interessiert sich nur für die Richtung, welche das Denken der Menschen einschlägt, und Buße lenkt das Denken der Menschen auf die Wiederverwendbarmachung des Zerbrochenen - millionenfach befolgt eine große Kraft zum Guten.

Und es ist der Name dieser Kraft, welcher heute usurpiert wird, usurpiert wird, um zu zerbrechen, von Leuten, welche Dritten vorschreiben, für die Taten Anderer zu büßen, weil sie die bisher geübte Buße für unzureichend befinden. Die Richtung dieses Denkens zu erkennen ist nicht schwer, wer andere zu Vollstreckern seines Gewissens macht, ihnen das Recht auf ein eigenes Gewissen abspricht und sich die Notwendigkeit, selbst dem eigenen Gewissen gerecht zu werden, stiftet Haß und Streit und schlimmstenfalls gar zur eigenen Natur gewordene Gehässigkeit. Sie sprechen von Aufarbeitung und betreiben Vergiftzwergung. Werden Worte dem gerecht? Oder die im aufblitzenden Erkennen dessen, was zerstört wird, liegende Wut?

Es zeigt sich in jeder Gestalt:
Man darf einen Wolf nicht im eigenen Garten sitzen lassen.

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