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6. Januar 2017

Das psychische Kloster

Es scheint freilich, daß es heute einen Chor gibt, welcher sich auch als Chor versteht und aggressiv auf die Einhaltung des von ihm bedachten Kanons drängt.

Bedenke den Kanon! Nimm Teil am großen Werk! Laß deine Gedanken in das süße Bad der heiligen Motive tauchen:
  • der Unschuld der Andern,
  • der Güte der Diener,
  • der Ergebenheit der Herrscher.
Es ist durchaus normal sich vorzusehen, nicht in eine Geisteshaltung zu verfallen, deren Ergebnis von Anfang an feststeht und nur darauf drängt, es möglichst überzeugend zu belegen. Ich, zum Beispiel, stehe aus diesem Grunde von Religionskritik ab, und wenn ich doch einmal in diesen Geist verfalle, lasse ich mich dafür durch Unachtsamkeit oder Verkrampfung bestrafen, so daß ich mir befehlen muß, doch genauer hinzusehen oder den Dingen ihren nötigen Raum zu lassen.

Auch das Einbleuen von Äquivalenzen ist normal, da man nicht fortwährend seiner Einsicht vertrauen kann, wiewohl es für Erwachsene durchaus nicht normal ist, sie sich von andern einbleuen zu lassen.

Doch die Beschränkung der eigenen Gedanken auf ein vorgegebenes Programm, ihre gesamtgesellschaftliche Bündelung zu einem Kanon ist nicht normal, sondern gehört in ein Kloster.

Und doch, da stehen sie, die Chormeister, und predigen einstweilige Verdammnis für alle, welche dem beworbenen Impuls nicht folgen, und das heißt noch in jedem Falle: ihre Gedanken auf andere Gleise stellen, sich auf einen überlegten Ansatz besinnen, denn seltsam unüberlegt ist der Kanon, welchen der Chor anstimmen soll.

Beispielsweise hat noch kein Journalist einen habilitierten Physiker dazu befragt, was er vom Klimawandel hält: Immer sind es Informatiker, welche Computersimulationen programmieren, ohne einen Begriff von der Aussagekraft ihrer Simulationen zu haben. Unvergessen der sensationalistische Vorstoß einer englischen Programmierergruppe, welche mithilfe tausender Modelle endlich ausschließen konnte, daß sich das Wetter der nächsten Jahre außerhalb des von ihnen vorhergesagten Rahmens entwickeln könnte - nur daß es das dann doch tat.

Ersparen wir uns die detaillierte Wiedergabe übriger Narreteien, das Charakteristische an ihnen ist von einer penetranten Aufdringlichkeit und bedarf keiner gestaffelten Siebung: Es ist die Ersetzung des selbstverständlichen, althergebrachten und wohlbegründeten Vorgehens in einer Angelegenheit durch ein auf Illusionen gestütztes.

Offensichtlich betreibt der Chor einen großen Umsturz, einen, welcher die Welt aus den Angeln heben will, und benutzt dazu in erster Linie zwei psychische Widerstände:
  1. dem Gutgläubigen zu widersprechen und
  2. Verantwortungsträgern ihre Verantwortung zu entreißen,
welche sich gegenseitig stützen, indem es ja die Verantwortungsträger sind, welche die Gutgläubigkeit zu ihren Zwecken instrumentalisieren.

Es ist nicht so, daß die Briten und Amerikaner dies zu guter Letzt verstanden hätten, und die Deutschen nicht, es ist nur so, daß die Deutschen noch nicht an den Punkt gelangt sind, an welchem sie bereit wären, sich dem Ungewissen zu stellen.

Aber ich bin weiß Gott erleichtert, daß die Deutschen nicht mehr die Speerspitze des Zeitgeists, sondern das Schlußlicht der Erkenntnis bilden. Für's erste ist das Spinnennetz zerrissen. Und was den Kanon angeht: Der Ekel vor ihm trifft nicht nur ihn, sondern auch Seinesgleichen, niemand wird die Welt mehr in ein Kloster verwandeln können, wir sind frei, und in dieser Freiheit werden wir selber suchen, was uns zuvor vorgesetzt wurde.

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