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16. August 2019

Die Auferstehung der Heiligen



Taktschlag alle zwei Sekunden. Ich bitte mitzusingen:
Ich ruf zu dir, Herr, Je-su Christ!
Ich bitt, er-hör mein Kla-a-gen,
Ver-leih mir Gnad zu die-ser Frist,
laß mich doch nicht ver-za-a-gen!
Den rech-ten Glau-ben, Herr, ich mein',
Den wol-lest du mir ge-e-ben-n,
Dir zu le-e-ben-n-n,
Dem Näch-sten nütz zu se-e-ein,
Dein Wort zu hal-ten e-e-ben-n-n.
Dies stand am Anfang der Reformation, Bach hat es nur dokumentiert.

Ich erinnere mich nicht, es jemals im Gottesdienst gehört zu haben, und ich denke, ich würde mich erinnern, wenn ich es gehört hätte. Es ist nicht ganz einfach zu singen, weil wir das Tempo nicht mehr gewöhnt sind. Und außerdem erscheint uns dieses Gebet heute allzu unbeholfen.

Natürlich ehren wir die Melodie weiterhin, und sie spricht auch zu uns ohne Worte. Es macht aber dennoch einen Unterschied, ob sich die Bewegung unserer Seele im Stillen vollzieht oder ob sie sich konzeptionell in das Bemühen um das ewige Leben einfügt. Und damit das niemand mißverstehe, will ich es verdeutlichen.

Was wäre unser Leben, wenn wir unserer Seele vor den Kühlschrank folgen würden, ohne zu erkennen, daß es an der Zeit ist, ein Mahl zu uns zu nehmen? Wenn wir im Wald umherwandelten, ohne zu erkennen, daß wir Besorgungen zu machen haben? Wäre es dasselbe oder nur ein kümmerliches Echo des begrifflich gegliederten und geordneten? In welchem alles seinen Platz hat als Teil dessen, was das Leben eines Menschen ausmacht?

Wenn wir also von der Sublimität der Musik reden, so meinen wir damit eigentlich unsere geistliche Finsternis, das verbliebene Echo der Worte, welche wir aus unserem Leben verbannt haben.

Tarkowski ist selbstverständlich kein Vorwurf zu machen, er liefert die Bedeutung der Worte ja im nachfolgenden Film nach, aber das, was unsere Kultur als Unbeholfenheit schmäht, die ernstliche Bitte um Anleitung, verurteilt sie als von niederen Kräften gefangen.

Ich möchte allerdings nicht gleich zu der Dynamik übergehen, welche uns herabgezogen hat, sondern lieber erst einmal bei unserer begrifflichen Gliederung des menschlichen Lebens bleiben, welche vor dem von Bach überlieferten Orgelspiel stumm bleibt.

Unser Leben ist Werkzeuggebrauch, unsere Begriffe dienen dem Werkzeuggebrauch, unsere Hoffnung beruht auf dem Werkzeuggebrauch und unsere Ängste auch. Die Unschuld ist aber schon länger vergangen. Wir glauben nicht mehr, daß wir einem jeden so auf seinem Wege weiterhelfen. Wir haben lange schon den Menschen selbst zum Werkzeug in den Händen der Mächtigen gemacht. Und wir haben aufgehört, ihm für sein Mittun dabei zu danken. Es war einmal das Gesetz im Lande, anderen zu nützen und das Opfer des anderen zu ehren. Heute ist daraus die Besoldung des guten Soldaten geworden, welcher seinen Dienst zum Nutzen des Systems erfüllt und dafür nicht vergessen wird. Dankbar müssen wir ihm dafür nicht sein, weil es uns als moralischer Makel gilt, die Unterstützenswertheit des Systems nicht zu erkennen. Nicht der Glaubensweg des Einzelnen bedeutet uns noch etwas, nur noch die Vervollkommnung des Systems: Hat Gott je seine Liebe zu einem Apparat offenbart? Oder bedeutet die Ehrwürdigkeit der Älteren, daß die Jüngeren keine Ehre dafür verdienen, wenn sie ihnen folgen?

Wie auch immer es geworden ist, die Funktionstüchtigkeit des Systems zählt, und wir bejahen unseren Platz in ihm, indem wir uns nationalromantisch als Teil und Nutznießer des Werkzeugganzen sehen. Und über dem, was unser Leben sonst noch sein mag, breiten wir den Mantel des Schweigens aus.

Den Kern dieser Kultur bildet der Unterricht, die Ausbildung zum Dienst. Einmal war er die Zurüstung für den eigenen Glaubensweg, auch wenn uns das heute entfallen ist. Da liegt der Schlüssel zur Auferstehung der Heiligen.

Doch was ist uns hier widerfahren? Haben nicht die Heiligen selbst die Werkzeuge geschaffen, um den Menschen zu helfen? Und nun hängen die Menschen so an den Werkzeugen, daß keiner mehr glaubt?

Es ist die Mißgunst, Neid und Erbosung, welche fürchtet, daß sich die Macht in anderen Händen konzentriert, und den Werkzeuggebrauch an sich zu reißen sucht, welche aus den Elementen aufsteigend den Geist der Heiligkeit vertreibt. Sie hat sich uns untertan gemacht und kann gar stolz in guter Gesellschaft flanieren, denn in ihr ist alle Sorge um die Macht verbunden. Bereits im Februar 2013 hielt ich diesen Prozeß in Bildern fest.

Und auch Johannes konnte das schon wissen: Die Heiligen, wenn sie kämen, würden nicht bleiben, und blieben sie nicht, so müßte schließlich der Satan regieren. Das freilich bleibt zu glauben, daß sie danach wiederauferstehen. Immerhin, zwei Mal sind sie schon gekommen.

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