Bereitschaftsbeitrag

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17. April 2020

Vom Spottlied zur Selbstdarstellung

Heute weiß man ja gar nicht mehr, was Spottlieder eigentlich sind. Deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, einen Text zu dichten, welcher das schön zur Musik von Georg Fürst veranschaulicht, und ich müßte mich sehr irren, wenn er nicht wenigstens zu 95% mit dem übereinstimmte, was Georg Fürst seinerzeit durch den Kopf ging:
In'n Arsch! In'n Arsch! In'n Arsch!
Wir treten den Franzosen in den Arsch, fallera!
In'n Arsch! In'n Arsch! In'n Arsch!
Wir treten den Franzosen in den Arsch!
Denn da, genau dahin gehören sie getreten!
Denn da, genau darum haben sie gebeten!
Jetzt komm! Und sag nicht das geht in die Hose, denn wir zieln ins Bodenlose!

In'n Arsch! In'n Arsch! In'n Arsch!
Wir treten den Franzosen in den Arsch, fallera!
In'n Arsch! In'n Arsch! In'n Arsch!
Wir treten den Franzosen in den Arsch!
Denn da, genau dahin gehören sie getreten!
Denn da, genau darum haben sie gebeten!
Jetzt komm! Und sag nicht das geht in die Hose, denn wir zieln ins Bodenlose!

Und noch einmal! Und noch einmal! Und noch, und noch, und noch, und noch, und noch einmal!
Und noch einmal! Und noch einmal! Und noch, und noch, und noch, und noch, und noch einmal!
Ach, Herr Jesu, ach, wie ist das schön! Ach, Herr Jesu, ach, wie ist das schön!
So könnt es immer weitergehn!

Aufgestellt, der Reihe nach! Ein jeder kommt mal dran!
Unverzagt drauflosgestürmt! Dann setz den Stiefel an!
Wehleidig ertönt es da,
schmerzerfüllt, den Tränen nah,
was wo und wann und wie
der Bodenlose schrie!
So zeigen wir der ganzen Welt,
was wo und wann und wie
eingeholt und zur Red gestellt
der Bodenlose schrie!
Das ist der Kern der populären Musik: Sie erlaubt ihrem Publikum seiner Lebensfreude zu frönen, indem sie eine Stimmung schafft, in welcher die Menschen ihre Selbstkritik eine Weile vergessen können.

Freilich, so derb ging es schon bald nicht mehr zu wie anno 1914. Die Menschen wurden etwas selbstironischer, oder vielleicht liegt es auch nur daran, daß der Rest der Welt selbstironischer als die Baiern ist. Jedenfalls, wenn wir beispielsweise Dreamer von Supertramp lauschen, hatte sich bis 1974 so viel auch wieder nicht getan, denn letztlich drückt dieses Lied auch nur den Spott der Jugend auf die ältere Generation aus, welche sie in Kindergartenmanier hänseln würde, und auch nur etwas subtiler als es die Ansprache Boy! in Live and Let Die tut.

Andere Songs transportieren das Gefühl verliebt zu sein, Take a Chance on Me (ABBA), Borderline (Madonna), There Must Be an Angel (Eurythmics), I Wouldn't Normally Do This Kind of Thing (Pet Shop Boys), oder es geht mehr um sexuelle Spannung, Is It Love (Mr. Mister), oder es geht um die adoleszente Annäherung an die Welt der Erwachsenen, Alive and Kicking (Simple Minds), The Night You Murdered Love (ABC), oder darum herumzuspringen, Out of Space (The Prodigy), oder darum zu schwitzen, Live Is Life (Opus), oder um Nostalgie, The Logical Song (Supertramp), oder um irgendetwas anderes, was Menschen am Leben schätzen.

Nur in ganz seltenen Fällen ist die Musik selbst das Faszinosum, kommt also ohne den gesellschaftlichen Rahmen aus, welcher in einem Publikum besteht, welches erwartet, daß die Musik ihm die erwähnte selbstkritiklose Stimmung schenkt. Beispiele hierfür sind Behind the Mask (Yellow Magic Orchestra), 19 (Paul Hardcastle), Infinity (Guru Josh), Hayling (FC Kahuna). Und dann gibt es noch den Fall, daß die Musik daimonisch ist, Eloise (Barry Ryan), Zu Spät (Die Ärzte), alles von Steve Winwood, insbesondere Night Train und Valerie, aber auch die ganzen irischen Volkstänze, wiewohl dort die gesellschaftliche Erwartung zugleich besteht. Kennzeichnend für daimonische Musik ist, daß der Musiker von ihr dazu gezwungen wird, sie zu singen oder spielen, und seinen Hörern diesen Zwang näherbringt.

Und wie steht es heute?

Ich unternahm es, diesen Beitrag zu schreiben, weil ich mir heute morgen angesehen habe, was aus David "Vud" Mårtensson geworden ist. Nun, er arbeitet(e) als Produzent, welcher sein Geld damit verdient(e), daß er Möchtegernsternchen dabei hilft (half), möglichst professionell zu klingen.

Who cares? Möglichst professionell? Supertramp war alles mögliche, nur nicht möglichst professionell, und besser als Supertramp kann Pop nicht werden. Was für eine horrende Verirrung! Professionell verpacktes Jaulen! Ein Film besteht nicht nur aus Special Effects und Musik ist mehr als Ambience. Leben kauft man nicht, Leben nimmt man auf und gibt es zurück, und Musik ist Lebensvermittlung, wie alle Kunst.

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