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10. April 2020

Persönliche und gemeinschaftliche Lebensausprägungen

Die im vorletzten Beitrag beschriebene Entwicklung von Kultur, Organisation und Bildung besitzt noch einen Aspekt, welchen ich bisher übersehen hatte, nämlich den des Gegensatzes zwischen persönlicher und gemeinschaftlicher Kreislaufs-, Eingezogenheits- und Artungsgestaltung.

Unser Gewissen regelt unseren Kreislauf, unsere Vorliebe unsere Eingezogenheit und unser (subjektiver) Glaube unsere Artung, vergleiche auch Lebensquell, Lebenswert und Lebenssinn und Heils- und Lebensausprägungen, doch tun sie dies auf unterschiedliche Weise, je nachdem, ob es sich bei ihrem Gegenstand um die gesellschaftliche Basis, das gesellschaftlich Bewegende oder die gesellschaftliche Form handelt: über die Basis besteht Einigkeit, das Bewegende wird persönlich geregelt und die Form gemeinschaftlich.

Anders ausgedrückt ist das Mächtige also gemeinschaftlich, das Schöne persönlich und das Wesentliche wiederum gemeinschaftlich, und wir können die Zeitalter dadurch charakterisieren, daß
  • jenes der Werke den Kreislauf vergemeinschaftet, indem er zu Kultur wird, und die Artung individualisiert, indem sie zu Lehre wird,
  • jenes der Wunder die Artung vergemeinschaftet, indem sie zu Bildung wird, und die Eingezogenheit individualisiert, indem sie zu Teilhabe wird, und
  • jenes der Wacht die Eingezogenheit vergemeinschaftet, indem sie zu Organisation wird, und den Kreislauf individualisiert, indem er zu Aufgabe wird.
Schopenhauer ging es um Einschätzung, mir geht es um Grundlegung: Wie sollte sich das Leben fassen lassen, ohne seine Glieder zu kennen? Doch ist dieses Fassen keine Frage des Beliebens, und Zeitalter sind keine Moden.

Das Zeitalter
  • der Werke beginnt, wenn Unterstützung zur Bestimmung wird, das Schicksal sich durch Unterstützung auftut,
  • der Wunder beginnt, wenn Gewährung zur Betrauung wird, die Verantwortung für die Gemeinschaft in den Händen Einzelner liegt, und
  • der Wacht beginnt, wenn Anerkennung zur Einweihung wird, das Anerkannte uns erleuchtet.
Bis es jeweils soweit ist, muß jeder Individualisierungs- oder Vergemeinschaftungswunsch egozentrisch erscheinen: Weder die Möglichkeit, der Liebe freie Hand über das Gebotene zu geben, noch jene, das persönliche Gut zum gemeinschaftlichen zu erheben, kann für sich in Anspruch nehmen, das Versprechen des Lebens zu erfüllen, einzig das selbstlose Schaffen einer notwendig gewordenen gesellschaftlichen Basis kann es.

Und deshalb neige ich mein Haupt vor der Länge der Zeit, welcher es bedarf, um das Angelegte zur Reife gelangen zu lassen.

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