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15. Mai 2020

Tugend

Platon beschließt die Nomoi also mit der Aufforderung, man möge die Tugend bestimmen, und dann auch anderen vor Sonnenaufgang erklären; nebenbei, mehr Nahrung für meine These, Damaskios habe den Koran geschrieben, wiewohl das hier gleichzeitig an Johannes erinnert:
Beim Himmel und dem Morgenstern,
doch was sagt dir, was der Morgenstern ist?
Es ist der durchdringende Stern!
Keines Menschen Seele hat einen höh'ren Leiter als ihn.
Lass` den Menschen denn bedenken, woraus er ward:
Er ward aus ausgestoßener Flüssigkeit,
welche zwischen Lenden und Hüften entsprang.
Wahrhaftig, dann, kann Er ihn wiederbringen
an dem Tag, an welchem die geheimen Gedanken offenbar werden.
Dann hat er weder Macht, noch Helfer,
bei dem Himmel, der den wiederkehrenden Regen gibt,
und der sich auftuenden Erde.
Dies ist ein gültig' Wort
und keine Poesie.
Sie haben einen Plan,
und Ich habe einen Plan.
Lass' denn die Ungläubigen sein. Behandle sie sanft, eine Weile lang.
Sure 97 erwähnte ich ja schon zuvor, wiewohl die Stunde dort, wohl wüstenklimabedingt, eine noch vorgerücktere ist.

Nun denn, den Anfang zu solch frühen Versammlungen hat also Platon gemacht, soweit die Schriften reichen. Und ich schicke mich jetzt also an, ganz prosaisch die Tugend zu bestimmen.
Tugend ist jene Orientierung eines Menschen durch seine Haltung, sein Verständnis und seinen Glauben, welche die Sorge (Vernunft) ihm auserköre.
Das heißt nicht, daß ein tugendhafter Mensch es durch Vernunft wurde, doch heißt es, daß die Vernunft zu dem selben Ergebnis gekommen wäre.

Jedenfalls ist dies das richtige Verständnis der Tugend, und wohl auch Platons, wiewohl er wahrscheinlich nur auf Haltung und Verständnis absieht, indem
  • Weisheit das rechte Verständnis bezeichnet,
  • Besonnenheit die grundsätzliche Wertschätzung des sich Orientierens,
  • Gerechtigkeit die Anwendung des Verständnisses auf die eigene Orientierung und
  • Tapferkeit die Beherzigung der eigenen Orientierung.
Dieses sind Platons Begriffe, Tapferkeit verwende ich in gleicher Weise, statt Gerechtigkeit spreche ich in diesem Sinne von Rechtschaffenheit, Besonnenheit verwende ich wieder in gleicher Weise, und Weisheit vermeide ich als Terminus technicus; stattdessen spreche ich von Einsicht, wenn etwas als richtig erkannt wird.

Die Abenddämmerung geht ihrem Ende entgegen, und ich bin allein. Ob es wirklich klug wäre, sich in der Morgendämmerung unausgeschlafen gemeinschaftlich den Arsch abzufrieren, wage ich zu bezweifeln, die rechte Stunde für Philosophie ist es meines Erachtens in unseren Breiten nicht, jedenfalls nicht im Sommer, im tiefsten Winter mag es angehen.

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