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9. März 2020

Platon und das Zeitalter der Wacht

Wenn es das Zeitalter der Wacht jemals gegeben hat, so sollten sich seine Spuren an und für sich in Platons Schriften finden lassen, doch betont Platons Schilderung der Anfänge der Zivilisation in den Nomoi die Bedeutung der Technologie für die gesellschaftliche Verfassung; eine Sichtweise, welche eher zum Zeitalter der Werke zu passen scheint.

Allerdings bewertet Platon diese Bedeutung nicht positiv, sondern negativ, als etwas, was es zu kontrollieren gilt. Wenn er also das Zeitalter der Wacht, wie ich es mir ausgemalt habe, selbst als ferne Erinnerung, als Herrschaft des Kronos ins Feld führt, so tut er es in wegweisender Absicht, und später drückt er das Ziel des Zeitalters der Wacht, nämlich die Seele zu einer wohlgeformten zu gestalten, auch ganz unverhohlen als das eigene aus.

Natürlich muß man bei solchen Aussagen aufpassen, daß man nicht durch allzu allgemeine Begriffe substanziell Verschiedenes als Gleiches auffäßt: Versuchen denn nicht auch die heutigen Religionen die Seele zu einer wohlgeformten zu gestalten?

Doch sie tun es eben auf andere Weise, wie im oben verlinkten Beitrag beschrieben. Platon sucht die Gesetze so zu gestalten, daß es keine Anreize zur Schmach gibt, und er vertraut darauf, daß die Herrschenden dem Seelenfrieden am meisten ergeben sind. Er sucht also eine Idylle zu erschaffen, welche ihre Mitglieder für sich zu vereinnahmen vermag, das heißt, er glaubt, daß die daimonische Ergebenheit an und für sich die richtige Lebensweise ist, welche indes durch die moderne Welt bedroht wird und also sie hegender Gesetze bedarf, um sich auch weiterhin entfalten zu können; zwar fehlt die Glut der ursprünglichen Begeisterung, doch der Nachhall der alten Liebe weiß noch zu berücken.

1000 Jahre später ging dies in den Koran ein:
Wahrhaftig! Wir enthüllten es in der Nacht der Vorherbestimmung.
Ach, was vermag dir zu verdeutlichen, was die Nacht der Macht ist!
Die Nacht der Macht ist besser als tausend Monde.
Die Engel und der Geist steigen in ihr herab mit der Erlaubnis ihres Herrn und allen Beschlüssen.
Friede bis zum Morgengrauen.
Der Unterschied ist eben, daß im Zeitalter der Werke das Gute erst noch gefunden werden muß, daß es weder in jugendlicher, noch in reifer Ergebenheit besteht.

Und wo ich Platons Vorstellungen gerade am Wickel habe: Zwar erkennt er die grundlegende Wichtigkeit der Unabhängigkeit der Bürger für das Gedeihen der Gesellschaft, indem er ihren Grundbesitz für unantastbar erklärt, doch von der allgemeinen Anwendung der Einsicht, daß Freiwilligkeit der beste Wächter gemeinschaftlicher Unternehmungen ist, ist er meilenweit entfernt, zwar kann niemand in seinem Staate seinen Wert verlieren, doch liegen seine Zügel nicht in der Hand des Wertes der Bürger, sondern in der Hand des Wertes der Regierenden; wiederum, wie es im Zeitalter der Wacht zu erwarten steht, und im Zeitalter der Werke nicht.

Man sieht, daß es das Eine ist, sich idealtypische Bilder von den Zeitaltern zu machen, doch ein Anderes, ihre Geschichte nach- oder gar vorzuzeichnen. Zwischen den Nomoi und dem Koran liegen tausend Jahre, und die Andersartigkeit liegt auch offen zu Tage, aber mehr als eine psychologische Verschiebung im gesellschaftspolitischen Ansatz ist es nicht. Um hier wirklich etwas sehen zu können, müßten wir uns Schriften der letzten 20000 Jahre in tausendjährigen Abständen vorlegen. Es reizt wirklich hochgradig zum Lachen, die zeitgenössische politologische Hochzüchtung der Massen im Rahmen des Parteienwesens zu betrachten, wenn man sich gleichzeitig vor Augen hält, daß es 40 Generationen braucht, damit sich der Ort, an welchem die Masse das Heil sucht, ändert. Hält man sich hingegen vor Augen, daß sich die zeitgenössische Politologie des historischen Rahmens, in welchem sie agiert, überhaupt nicht bewußt ist, will man wohl eher erschauern.

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