Bereitschaftsbeitrag

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28. Januar 2022

Endzeitliche Scheinlösungen

Ich besprach im drittletzten Beitrag die hierarchisch organisierten Wege, den Problemen der Endzeiten der Zeitalter, also Dekadenz, beziehungsweise Uneigenständigkeit oder Chaos, zu entkommen. Charakteristisch an ihnen ist, daß sie in der Hinsicht epochale Innovationen sind, daß sie es mit dem Entwicklungsprinzip des folgenden Zeitalters versuchen, also am Ende des Zeitalters der Wacht mit hierarchischer Lenkung, der Werke mit hierarchischer Entdeckung und der Wunder mit hierarchischer Nutzbarmachung. Und also kann es nicht verwundern, daß es in den Endzeiten auch zu Versuchen kommt, welche auf das Entwicklungsprinzip des zu Ende gehenden Zeitalters setzen, nur daß diese Versuche die Probleme nicht lösen, sondern sie vielmehr verschlimmern.

Um zu erkennen, in wiefern es sich bei diesen Scheinlösungen um hierarchische Nutzbarmachung, Lenkung oder Entdeckung handelt, ist es ratsam, die Aufmerksamkeit auf die Vorbereitung und Anwendung der jeweiligen Lösung zu richten.

Beginnen wir aus dramaturgischen Gründen diesmal mit dem Zeitalter der Wunder. Wenn die unterschiedlichen Lebensweisen an seinem Ende beginnen, zu chaotischen Zusammenstößen zu führen, besteht die ihm entsprechende Weise der Problemlösung darin, zunächst andere Lebensweisen als Späher zu bezeugen und sich anschließend als Krieger auf die gewonnenen Einsichten zu berufen. Das Problem dabei ist nur, daß durch diese Spezialisierung die chaotischen Zusammenstöße verschiedener Lebensweisen nur noch weiter zunehmen. So entlegen der Gegenstand ist, liegt er doch 4000 Jahre in der Vergangenheit und 2000 in der Zukunft, gibt es doch eine Star Trek: The Next Generation-Episode, welche sich mit ihm beschäftigt, nämlich The Hunted, wiewohl in einem etwas anderen Kontext.

Sehr viel näher liegen die Geschehnisse am Ende des Zeitalters der Wacht: der Dekadenz des lebendigen Geistes wurde zunächst durch die Einrichtung von grundlegenden Kontrollapparaten begegnet, deren Befünde dann aufgegriffen wurden, angestoßen durch Julius Caesar und unter Tiberius Caesar Augustus zur Vollendung geführt. Aber auch hier verschlimmert sich das anfängliche Problem nur, führt die Überwachung zu weiterer geistiger Dekadenz, wie Caligula der Welt vor Augen führte. Und um bei Star Trek: The Next Generation zu bleiben, die Episode Angel One handelt von diesem Dilemma, wenn man so will. (Man kann sie natürlich auch als eine Hommage an Rockerbräute sehen: Presque aussi bonnes qu'hommes!)

Und am nächsten liegt uns natürlich, was uns am Ende des Zeitalters der Werke begegnet. Seinem Entwicklungsprinzip folgend versuchen wir, zunächst eine gesellschaftliche Lösung für unsere Unwesentlichkeit zu planen und sie dann umzusetzen. Das ist bereits mehrmals geschehen, 1789, 1917 und 1933, allerdings war der Verlauf 1933, wie Revolutionäre durchaus zu Recht anführen, uncharakteristisch, da die Deutschen gleich zu Napoléons und Stalins Entsprechung übergingen, ohne einer aufgewühlten Masse Irrer vorher zu erlauben, sinnlos Blut zu vergießen - wir werden noch zu erörtern haben, wie ihnen das gelingen konnte. Denn die Sachlogik ist die folgende: Eine gesellschaftliche Lösung kann nur von sehr wenigen geplant werden, muß aber von sehr vielen umgesetzt werden, und also kommt es bei der Umsetzung dazu, daß jene, welche von Tuten und Blasen keine Ahnung haben, die Macht an sich reißen. Und dadurch verschlimmern sich die Probleme der Unwesentlichkeit und Uneigenständigkeit. Warum also ist es in Deutschland nicht mustergültig gelaufen? Nun, Hitler schaffte es, die Masse an seine Person zu binden, und als er ihr den Rücken kehrte, gelang ihm die Entsorgung Röhms, und die Masse nahm es hin: Es ist also einerseits eine Frage der Gewieftheit Hitlers und andererseits der Trägheit des deutschen Volkes, welche es erlaubten, die ungeordnete revolutionäre Phase zu überspringen. Aber auch wenn dabei vermieden wurde, daß die Masse das Steuer übernahm, ändert es doch nichts daran, daß der Plan von Apparatschiks umgesetzt werden muß und also ein Klima der Unwesentlichkeit und Uneigenständigkeit erzeugt. Und auch hier gibt es eine Star Trek: The Next Generation-Episode, welche sich dieser Problematik, wiewohl nur in Ansätzen, etwa der Irren, welche was mit einem Alien (Riker) will, widmet, nämlich First Contact.

Damit wäre das erklärt:
  • Spezialisierung am Ende des Zeitalters der Wunder,
  • Überwachung am Ende des Zeitalters der Wacht und
  • Remodellierung am Ende des Zeitalters der Werke
sind lediglich Scheinlösungen, welche die bestehenden Probleme verschlimmern.

Ironischerweise durchlaufen die Star Trek-Serien selbst die Phasen einer Revolution:
  • in Star Trek werden uns bestimmte Probleme bewußt gemacht (etwa das mich vorrangig beschäftigende in The Ultimate Computer),
  • in Star Trek: The Next Generation et alii wird uns eine ideale gesellschaftliche Ordnung vorgestellt und
  • in Star Trek: Enterprise geht es um die Auseinandersetzung mit den Idioten, welche nicht verstehen, daß das Star Trek-Universum der heilige Gral zur Genesung der Menschheit ist.
Gegen die ersten beiden Ausformungen popkultureller Unterhaltung habe ich nichts einzuwenden, die dritte aber ist widerlich, zumal wenn man bedenkt, was hinter ihr steht, nämlich sich sich zunehmend gesellschaftlich isolierenden Fans anzubiedern, in etwa so, wie wenn sich ein Komponist darauf verlegte, traurige Musik für traurige Menschen zu komponieren.

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