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17. Mai 2022

Jenseitserfahrungen

Wenn der Geist eins ist, doch Teile seiner sich für getrennt halten, so ist der diesseitige Teil der jeweils abgetrennte und der jenseitige der jeweils verbleibende.

Die unmittelbare Erfahrung eines Teils, welcher jenseits des eigenen liegt, wird dessen Offenbarung genannt.

Bleiben die mittelbaren Erfahrungen. Der Unterschied zwischen beiden ist exemplarisch in der Magnum-Episode Fragments eingefangen, Lauras unmittelbare Visionen gegenüber Thomas' mittelbarer leiser Stimme.

Bei Thomas' leiser Stimme handelt es sich um das, was ich als Inspiration bezeichne. Inspiration ist ein etwas weiterer Begriff als der biblische heilige Geist oder die koranische Rechtleitung, aber die Komplexität dieser Fragen wird sich am Ende dieses Beitrags selbst erklären.

Bei einer mittelbaren Erfahrung des Jenseits verlassen wir unser Diesseits nicht, doch haben wir das Gefühl, daß hinter einem diesseitigen Eindruck etwas Jenseitiges steht. Und wiewohl das in vielen Fällen tatsächlich der Fall sein mag, geben wir uns doch nur durch die im vorigen Beitrag betrachteten geistlichen Modifikationen unserer Gewidmetheit Rechenschaft über die jenseitige Natur unserer Erfahrungen.

Diese Erfahrungen sind aber nicht gleich zugänglich. Die zugänglichste ist die des Eingestehens, gefolgt von der des Einlassens und schließlich den des Einwilligens, wobei es von letzteren zwei Arten gibt, von denen die zugänglichere die Inspiration ist.

In der Erfahrung des Eingestehens wird uns unsere diesseitige Rolle im Zusammenhang mit dem Jenseits bewußt, also daß es eine Architektur gibt, eine Wahrheit, welche sich über das Diesseitige hinaus erstreckt.

In der Erfahrung des Einlassens wird uns die Zusammenfügung des Diesseitigen zu etwas, was dem Jenseitigen entspricht, bewußt, üblicherweise eben bei der Hochzeit.

Nun gibt es ganze philosophische Systeme, welche hier den Strich ziehen, und das möchte ich kurz behandeln.

Wenn uns allen von einem Architekten eine Rolle zugewiesen wurden, und wir sie ausfüllen, so sollte es wenig Wunder nehmen, wenn sich alles zum Wohlgefallen zusammenfügt. Trotzdem heißt es im Koran (21:16-18), daß Gott die Welt geschaffen hat, um die Wahrheit der Lüge an den Kopf zu schmettern und ihn ihr einzuschlagen, und bei Johannes (8:23), daß die Pharisäer von dieser Welt sind, Jesus aber nicht.

Dennoch, Leibniz, etwa, geht von einer prästabilisierten Harmonie aus, und Versicherungen, wie daß Gott die Haare eines Jeden gezählt hat, dienen meist ebenfalls der Überredung zum Einlassen, indem sie suggerieren, daß schon alles zum Besten wirkt.

Doch wie genau wirkt alles zum Besten?

Ist die Welt so beschaffen, daß wir nur das Wahre erkennen müssen, um uns sogleich in ihr geistig beheimatet zu finden?

Oder müssen wir zunächst unser Kreuz tragen, um unsere Heimat auf den Weg zu bringen?

Und hier wird es nun schwieriger, die jenseitigen Erfahrungen zu deuten. Bisher hatten wir es nur mit einer alles übersteigenden Wahrheit zu tun und einer Welt, welche sich ihr beugt.

Aber was wird uns in der Erfahrung des (Nicht-)Einwilligens bewußt? Daß da etwas ist, was uns hilft, unseren Weg zu neuen Ufern zu finden. Zunächst nur, indem es uns auf dieses und jenes hinweist, wie es beispielsweise Arthur Schopenhauer und David Icke beschrieben haben und jeder kennt, der sich auf den Weg gemacht hat. Dies ist die Inspiration, aber was inspiriert? Und da gehen die Meinungen eben auseinander. Die alten Griechen gingen von Daimonen aus, welche sich schließlich aus Gründen der Bedeutungsverschiebung zu Engeln und insbesondere Schutzengeln wandelten*. Die Bibel spricht vom heiligen Geist, welcher von Gott ausgeht, und bei den Katholiken auch vom Sohn. Der Koran spricht von der Rechtleitung durch Gott, und wie wir schon wissen, sprechen Pharisäer am liebsten von der Irreführung durch den Teufel, weil sie von dieser Welt sind.

Wenn wir nichts als Inspiration erfahren würden, wäre es nicht möglich, diese Frage zu entscheiden, da das Inspirierende auf Distanz, quasi verborgen bleibt. Nur so viel ist klar: Es ist ein Geist, und wenn wir annehmen, daß es nur einen Geist gibt, welcher sich aber nicht unbedingt als einen versteht, so lautet die Frage also, welchen Grad an Individualität der inspirierende Geist besitzt.

Zeigt sich dieser Geist nicht mehr nur als Hinweisender, sondern auch als Brückenbauer, welcher Wunder wirkt, um unseren Aufbruch zu erlauben, was wir als Erhörung erfahren, wird der Grad seiner Individualität aber erahnbar, nämlich
  • indem er sich rücksichtslos gegenüber Individuellem zeigt, seine Allgemeinheit, 
  • und indem er Individuelles berücksichtigt, seine Spezifik,
und was sich somit ergibt, ist ein Geist, welcher einmal ungeschliffener und einmal geschliffener ist, je nachdem, wie geschliffen das an ihn gerichtete Gebet ist, wobei er uns ungeschliffen durchaus gottähnlich erscheint, aber geschliffen zunehmend menschliche Züge annimmt, wenngleich keine Schwächen. Allerdings können Gebete nicht beliebig geschliffen werden. Auf den Eigennutz gerichtete Gebete werden nicht erhört**. Und auch für die eigene Art, die eigene geistige Heimat, läßt sich nicht bedingungslos auf Kosten anderer Arten beten. Je mehr ein Gebet für Gottes Schöpfung als Ganze betet, desto eher wird es erhört. Das Schleifen besteht also darin, die eigene Art auf möglichst umsichtige Weise in die Schöpfung einzubetten, und indem dies von verschiedenen Seiten her geschieht, bilden sich koaleszente Schutzgeister heraus, welche als Erweiterungen der an ihnen beteiligten Individuen in das Jenseits hinein verstanden werden können, und auf diese Weise wurde Jesus Christus versiegelt und sitzt zur rechten Gottes und bietet uns durch das Gebet in seinem Namen an, seinen koaleszenten Geist zu erfahren. Es ist auch klar, daß Christus genau das gemeint hat, mit den Wohnungen in seines Vaters Haus, welche er hinginge zu bereiten, mit den Reben an seinem Weinstock, welche dadurch an ihm blieben, daß sie sich mühten, schleiften und also Frucht brächten, mit der Versöhnung der Liebe zu ihm und der Geliebtheit durch den Vater, also daß ein Gebet in seinem Namen kein Gebet zu ihm ist, sondern ein durch ihn derartig angeleitetes Gebet, daß Gott sich möglichst menschlich, also als Vater, zeigt, wobei ein Vater aber auch unbeirrbar ist.

* im Falle von Roger Pomfret Hodgson zu Babaji.
** gemeint sind Gebete um Gnade, von welchen beim Einwilligen die Rede ist.

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