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19. Dezember 2022

Nochmals zur Abfolge der platonischen Herrschaftsformen

Grundlegend für Platons Unterscheidung der Herrschaftsformen ist der Gegensatz zwischen Ordnenden und Geordneten. Platon geht von einem Ordnungswillen aus, welcher die Aristokratie auszeichnet. Dieser ordnet zum einen das Geschäft der Ordnung selbst und zum anderen die Gesellschaft insgesamt, und beide wachsen unter dieser Ordnung.

Indem das Geschäft der Ordnung wächst, verdrängt zunächst das Kriegsgeschäft die Verkörperung des Ordnungswillens, bevor es selbst von der Wirtschaft verdrängt wird. Der Übergang von der Aristokratie über die Timokratie zur Oligarchie besteht also in der Vererbung der Entscheidungsgewalt an die Praktiker der Ordnung.

Die ganze Zeit, während sich dieser Prozeß vollzieht, bewertet die Gesellschaft die Ordnung, und schätzt dabei
  • die Ordnungsanlage durch die Aristokraten,
  • die Bewährung der Ordnung durch die Timokraten und
  • die Auffüllung der Ordnung durch die Oligarchen,
doch geht Platon davon aus, daß die Gesellschaft schließlich unzufrieden mit der Ordnung wird und selbst ordnend eingreift, auf welche Weise die Demokratie entsteht.

Die Demokratie schätzt an sich selbst ihre Vernunft, welche sie dazu befähigt, gerade jene politischen Mißstände zu beheben, an welchen sie sich stört. Doch wiederum geht Plaron davon aus, daß die Gesellschaft damit unzufrieden wird und schlagkräftigere Mittel sucht.

Die politische Vernunft der heutigen Gesellschaften ist eigentlich gar nicht so übel, das heißt, sie ist durchaus in der Lage, funktionierende politische Lösungen zu formulieren. Allerdings läßt sich beobachten, daß der Politik Ordentlichkeit stets weniger als handfeste Interessen gilt, und daß die so entstehenden Schlagseiten nie öffentlich diskutiert werden, beispielsweise
  • die Verlagerung der industriellen Produktion nach China,
  • die Schwächung südeuropäischer Wirtschaften durch Hartz IV-Aufstockung,
  • der blinde EU- und NATO-Expansionismus,
  • die Erdgasabhängigkeit von Rußland,
  • die Migrationspolitik,
  • die Markierung gesellschaftlicher Feinde, etwa auf Twitter.
Das kocht gerade alles etwas hoch, doch systemisch relevant ist die Unfähigkeit der Gesellschaft, ihrer Vernunft Gehör zu verschaffen, wobei ich folgenden Sachverhalt annehme: Die Gesellschaft wird traditionell als unvernünftig betrachtet, und eine Klasse von hinreichend im Leben stehenden Männern trifft die demokratischen Entscheidungen für sie auf der Grundlage von volkswirtschaftlichen Erwägungen, welche im Laufe der letzten Jahrzehnte zunehmend fragwürdig wurden.

Um dies gebührend allgemein zu begreifen und auf Platon zu beziehen, sei es als normative Verengung der gesellschaftlichen Vernunft bezeichnet, auch wenn nur ein innerer Zirkel von ihr betroffen ist. Aus dieser Verengung heraus ergäbe sich dann die Unzufriedenheit der Gesellschaft mit ihren eigenen politischen Entscheidungen, und der Vorzug des Tyrannen dann besteht darin, daß er Normen nach Belieben sprengen kann, wobei dies natürlich nur ein Vorzug für jene ist, welche ihre eigene Eingeengtheit spüren, doch auf's Ganze gesehen verstärkt sich der Druck der Einengung durch den Normbruch ja nur, da Kompromisse in Konflikte übergehen, so daß sich die Tyrannei schon auswachsen wird.

Übrigens, in solchen Situationen gibt's natürlich immer auch die Möglichkeit für Oligarchen, sich beliebt zu machen, allerdings müßte in unserer heutigen Lage die Demokratie auf die Gesellschaft ausgeweitet werden, um einen bleibenden Unterschied zu erzielen, und das ist sehr unwahrscheinlich, wenn ich etwa an Mike Gravel denke und wie es ihm 2008 erging. Was mich letztlich erschreckt, ist die Prinzipienlosigkeit der Menschen: Es ist eines, als Kind zu sehen, wie sie sich für nichts begeistern, aber dann als Erwachsener auch noch zu sehen, wie sie alles sang- und klanglos verraten, was selbstverständlich schien - nun, es ist tatsächlich so, auch wenn nicht alle beteiligt sind.

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