Zur Verschleierung der Entfaltungsschwierigkeit
Ich berührte im vorigen Beitrag die Wahrnehmung gegenwärtiger Bestürztheiten, und diese ist insbesondere für die Besessenheit von Belang, denn während sich Geheuerheit und Stimmigkeit verhältnismäßig leicht ablesen lassen, ist dies bei der Heiligkeit nicht so ohne weiteres der Fall, das heißt, wir sehen wohl, wenn einer beklommen oder betreten ist, aber ob es jemandem schwer fällt, sich zu entfalten, läßt sich nur mit Empathie erkennen.
Doch auch über unsere eigene Entfaltungsschwierigkeit können wir uns täuschen, wenn wir, wie im vorigen Beitrag beschrieben, an einem Scheinfortschritt teilnehmen, also einer theoretischen Verbesserung unserer Lebensumstände. Wir meinen dann, etwas wesentliches zu leisten und unserer geistigen Heimat näher zu kommen, aber wir täuschen uns darüber.
Daß wir uns tatsächlich täuschen, wird uns erst nach längerer Zeit klar, und auch dann nur vage in Form des Gefühls, daß uns etwas fehlt. Wenn man aber weiß, wonach man sucht, lassen sich verräterische Anzeichen finden, welche die Sache mit größerer Bestimmtheit entscheiden, und das deutlichste von ihnen ist die Musik, also daß es uns drängt, unseren Gefühlen musikalisch Ausdruck zu verleihen, denn wenn es uns zur Entfaltung drängt, so auch zur Musik, so daß Phasen großer geschichtlicher Entfaltungen auch von Komponisten vom Schlag eines Ludwig van Beethovens vertont werden.
Ich dachte lange Zeit, unsere Zeit könne keine Musik haben, da sich nichts in ihr entfalte, und dann gab ich selbst mit meinem Walzer für W.F., ich war damals 23, dieser Entfaltungsschwierigkeit in einem konkreten Fall musikalisch Ausdruck, aber ich war nicht der erste, welcher in unserer Zeit die Entfaltungsschwierigkeit vertonte. Der erste mag Hans Pfitzner gewesen sein, nach der Rose vom Liebesgarten, aber Pfitzners Entfaltungsschwierigkeit ist nicht originär, sondern die des Autors, welcher kein Thema findet. Die erste originäre Vertonung der modernen Entfaltungsschwierigkeit ist vielleicht dieses Stück von Supertramp.
Sehr viel besser natürlich das Crime of the Century Album, aber auch das wurde seinerzeit als Teenage Angst abgetan, doch das stimmt nicht, es ist die Musik unserer Zeit. Was es sonst noch an Musik in unserer Zeit gibt, ist ausnahmslos ekstatisch, Hingabe an den Moment, das Gefühl und die Zeit vergessen machend. Daher auch meine Liebe für The Prodigy, da dort nicht die geringste Verwirrung der Sache versucht wird.
Wer also einer der modernen Weltbeglückungstheorien anhängt, den wird sie nicht mit Musik erfüllen, wie Napoléon Ludwig von Beethoven mit Musik erfüllt hat, und da Hitler niemand mit Musik erfüllt hat, ist auch der Beweis erbracht, daß es nicht am pompösen Auftreten oder der Persönlichkeit liegt, sondern am Atem der Geschichte, und der heutige ist eben von bedrückter und nicht von ausholender Art.
In gewisser Weise handelt es sich also auch bei der Generalisierung dieser Bedrücktheit als Teenage Angst und der ekstatischen Ausrichtung der Musik um Verschleierungsmanöver der Entfaltungsschwierigkeit, doch möchte ich näher an der Sache bleiben.
Die erste Art der Verschleierung ist eben der Scheinfortschritt, welcher eine Scheinentfaltung suggeriert, und die zweite Art der Verschleierung ist die Scheinautorität, welcher der einzigen, eben der Empathie, ihre abspricht und auf diese Weise dafür sorgt, daß jenen, welche aufgrund ihrer Empathie Entfaltungsschwierigkeiten wahrnehmen, kein Gehör geschenkt wird. Aldous Huxley hat dies in Brave New World treffend beschrieben: die Abtötung des natürlichen Seelenlebens zur arbeitsgerechten Abrichtung, wo die Fortschrittsrichter Liebeswahnsinnige verurteilen, was die Essenz des Feminismus' ist.
Natürlich wäre es schön, wenn der Scheinfortschritt als solcher erkannt würde, und seine Scheinautoritäten als solche mit ihm, denn wo nicht, muß alles sich nur noch weiter zuspitzen, bis es verstanden wird, doch das Beispiel der Verwandlung des Umweltschutzes zeigt, wie unwahrscheinlich das ist.
Der Umweltschutz entstand aus einem Gefühl der Bedrücktheit, nämlich die moderne Technologie nicht hinreichend im Griff zu haben, war also einer zumindest halbbewußten Entfaltungsschwierigkeit geschuldet, nämlich keinen Platz in einer giftigen Umwelt zu finden, und drängte, indem er Atomkraftwerke durch einfachere Technologien zu ersetzen suchte, auf Dezentralisierung und flachere Hierarchien.
Und heute? Heute besteht der Fortschritt darin, möglichst viele giftige Batterien zu produzieren und einfache Technologien durch komplexere zu ersetzen, für mehr Zentralisierung und tiefere Hierarchien einzutreten und den Menschen, wenn nicht gleich im Namen des Umweltschutzes auszurotten, so doch möglichst umfangreich zu kontrollieren. Als Entfaltungsschwierigkeit wird das aber nicht wahrgenommen, und, möchte ich behaupten, das Horrorszenario einer tropischeren Welt auch nicht. Das Gefühl einer bestehenden Entfaltungsschwierigkeit ist vielmehr durch abstrakte Beflissenheit ersetzt worden. Aus bedrückten Menschen wurden überzeugte Ameisen.
Dabei könnte nichts natürlicher sein, als der Grundidee des Zeitalters der Wunder folgend herauszufinden, welche Bildung, welche Beherrschung welcher Werkzeuge in was für verfaßten Gemeinschaften, uns das glücklichste Leben ermöglicht, indem wir wieder Herren unseres Schicksals werden und unsere geistige Heimat entfalten.
Einfach. Und die Alternative: verdammt. Nein, Sicherheitsgarantien gibt es nicht. Aber wenn es keine gibt: Warum nicht das Gottgefällige tun?
Schönes Plädoyer. Um die Herzen der Menschen ist es aber anders bestellt.
Doch auch über unsere eigene Entfaltungsschwierigkeit können wir uns täuschen, wenn wir, wie im vorigen Beitrag beschrieben, an einem Scheinfortschritt teilnehmen, also einer theoretischen Verbesserung unserer Lebensumstände. Wir meinen dann, etwas wesentliches zu leisten und unserer geistigen Heimat näher zu kommen, aber wir täuschen uns darüber.
Daß wir uns tatsächlich täuschen, wird uns erst nach längerer Zeit klar, und auch dann nur vage in Form des Gefühls, daß uns etwas fehlt. Wenn man aber weiß, wonach man sucht, lassen sich verräterische Anzeichen finden, welche die Sache mit größerer Bestimmtheit entscheiden, und das deutlichste von ihnen ist die Musik, also daß es uns drängt, unseren Gefühlen musikalisch Ausdruck zu verleihen, denn wenn es uns zur Entfaltung drängt, so auch zur Musik, so daß Phasen großer geschichtlicher Entfaltungen auch von Komponisten vom Schlag eines Ludwig van Beethovens vertont werden.
Ich dachte lange Zeit, unsere Zeit könne keine Musik haben, da sich nichts in ihr entfalte, und dann gab ich selbst mit meinem Walzer für W.F., ich war damals 23, dieser Entfaltungsschwierigkeit in einem konkreten Fall musikalisch Ausdruck, aber ich war nicht der erste, welcher in unserer Zeit die Entfaltungsschwierigkeit vertonte. Der erste mag Hans Pfitzner gewesen sein, nach der Rose vom Liebesgarten, aber Pfitzners Entfaltungsschwierigkeit ist nicht originär, sondern die des Autors, welcher kein Thema findet. Die erste originäre Vertonung der modernen Entfaltungsschwierigkeit ist vielleicht dieses Stück von Supertramp.
Sehr viel besser natürlich das Crime of the Century Album, aber auch das wurde seinerzeit als Teenage Angst abgetan, doch das stimmt nicht, es ist die Musik unserer Zeit. Was es sonst noch an Musik in unserer Zeit gibt, ist ausnahmslos ekstatisch, Hingabe an den Moment, das Gefühl und die Zeit vergessen machend. Daher auch meine Liebe für The Prodigy, da dort nicht die geringste Verwirrung der Sache versucht wird.
Wer also einer der modernen Weltbeglückungstheorien anhängt, den wird sie nicht mit Musik erfüllen, wie Napoléon Ludwig von Beethoven mit Musik erfüllt hat, und da Hitler niemand mit Musik erfüllt hat, ist auch der Beweis erbracht, daß es nicht am pompösen Auftreten oder der Persönlichkeit liegt, sondern am Atem der Geschichte, und der heutige ist eben von bedrückter und nicht von ausholender Art.
In gewisser Weise handelt es sich also auch bei der Generalisierung dieser Bedrücktheit als Teenage Angst und der ekstatischen Ausrichtung der Musik um Verschleierungsmanöver der Entfaltungsschwierigkeit, doch möchte ich näher an der Sache bleiben.
Die erste Art der Verschleierung ist eben der Scheinfortschritt, welcher eine Scheinentfaltung suggeriert, und die zweite Art der Verschleierung ist die Scheinautorität, welcher der einzigen, eben der Empathie, ihre abspricht und auf diese Weise dafür sorgt, daß jenen, welche aufgrund ihrer Empathie Entfaltungsschwierigkeiten wahrnehmen, kein Gehör geschenkt wird. Aldous Huxley hat dies in Brave New World treffend beschrieben: die Abtötung des natürlichen Seelenlebens zur arbeitsgerechten Abrichtung, wo die Fortschrittsrichter Liebeswahnsinnige verurteilen, was die Essenz des Feminismus' ist.
Natürlich wäre es schön, wenn der Scheinfortschritt als solcher erkannt würde, und seine Scheinautoritäten als solche mit ihm, denn wo nicht, muß alles sich nur noch weiter zuspitzen, bis es verstanden wird, doch das Beispiel der Verwandlung des Umweltschutzes zeigt, wie unwahrscheinlich das ist.
Der Umweltschutz entstand aus einem Gefühl der Bedrücktheit, nämlich die moderne Technologie nicht hinreichend im Griff zu haben, war also einer zumindest halbbewußten Entfaltungsschwierigkeit geschuldet, nämlich keinen Platz in einer giftigen Umwelt zu finden, und drängte, indem er Atomkraftwerke durch einfachere Technologien zu ersetzen suchte, auf Dezentralisierung und flachere Hierarchien.
Und heute? Heute besteht der Fortschritt darin, möglichst viele giftige Batterien zu produzieren und einfache Technologien durch komplexere zu ersetzen, für mehr Zentralisierung und tiefere Hierarchien einzutreten und den Menschen, wenn nicht gleich im Namen des Umweltschutzes auszurotten, so doch möglichst umfangreich zu kontrollieren. Als Entfaltungsschwierigkeit wird das aber nicht wahrgenommen, und, möchte ich behaupten, das Horrorszenario einer tropischeren Welt auch nicht. Das Gefühl einer bestehenden Entfaltungsschwierigkeit ist vielmehr durch abstrakte Beflissenheit ersetzt worden. Aus bedrückten Menschen wurden überzeugte Ameisen.
Dabei könnte nichts natürlicher sein, als der Grundidee des Zeitalters der Wunder folgend herauszufinden, welche Bildung, welche Beherrschung welcher Werkzeuge in was für verfaßten Gemeinschaften, uns das glücklichste Leben ermöglicht, indem wir wieder Herren unseres Schicksals werden und unsere geistige Heimat entfalten.
Einfach. Und die Alternative: verdammt. Nein, Sicherheitsgarantien gibt es nicht. Aber wenn es keine gibt: Warum nicht das Gottgefällige tun?
Schönes Plädoyer. Um die Herzen der Menschen ist es aber anders bestellt.
Labels: 34, formalisierung, geschichte, gesellschaftsentwurf, gesellschaftskritik, gesetze, institutionen, sehhilfen, wahrnehmungen, zeitgeschichte, ἰδέα, φιλοσοφία