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31. Januar 2023

Die Dialektik der Nomoi: Die Stützen der Gesellschaft

Immer wieder sage ich, daß Platons Nomoi eine Greisenutopie darstellen, deren einziger Sinn darin besteht, die abscheulichen Umtriebe der Jugend daran zu hindern, die Zukunft zu gestalten, doch hat mich mein Zorn bisher daran gehindert, die Sache systematisch darzulegen.

Betrachten wir die Nomoi also durch die Brille der platonischen Dialektik. Wenn das Ziel der Gesetze darin besteht, die Macht ihrer Verfasser zu erhalten, so müssen sie
  1. die bestehende Macht derselben schützen,
  2. Machtveränderungen verhindern,
  3. den Einsatz der Macht in zielführende Bahnen lenken und
  4. die Macht, Gesetze zu erlassen, beschränken,
mit anderen Worten also
  1. den Besitz,
  2. die Herstellung,
  3. die Beziehungen und
  4. die Regelung
kontrollieren, und deren Kontrolle bildet die vier Stützen der Gesellschaft.

Gehen wir diese Punkte also am Beispiel der Nomoi und heutiger Parallelen durch.

Besitzkontrolle. Der Grundbesitz in den Nomoi ist unverkäuflich und unteilbar und geht auf den ältesten Sohn über, das Recht der Blutlinie steht über dem Recht ihrer Glieder. Es ist Brüdern aber gestattet, einander legal zu töten, und ebenso kann ein Vater seine Söhne legal töten. Bei fehlenden Söhnen geht der Besitz auf den nächstälteren Bruder, beziehungsweise Onkel und so weiter über.

Deutsche Parallelen sind das Gesetz, welches es Bauern verbietet, ihre Höfe zu verkaufen, wenn ein Sohn den Hof übernehmen will, die Lizensierung von Bauland mit seiner damit einhergehenden Wertsteigerung, sogar Umweltschutz- und Fahrtsicherheitsauflagen, welche über den Weg der Kraftfahrtzeugverteuerung die Haftpflicht in die Höhe treiben. Gäbe es in Deutschland das geringste bürgerrechtliche Bewußtsein, so müßte jede solche Auflage hinsichtlich ihrer gesellschaftlich stratifizierenden Wirkung rechtfertigt werden.

Herstellungskontrolle. Herstellungskontrolle erfolgt entweder direkt durch Gewerbeaufsicht oder indirekt durch Marktkontrolle. Beides ist in den Nomoi der Fall, es ist Handwerkern verboten, mehr als ein Handwerk auszuüben, und sie müssen ihren Bedarf in speziellen, für sie eingerichteten Geschäften decken.

Deutsche Parallelen sind der Meisterbrief, welcher die Ausübung mehr als eines Handwerks erschwert, und der im vorigen Beitrag besprochene Effizienzzwang, welcher sich daraus ergibt, daß im kankrischen System niemand freiwillig etwas mehr arbeiten wird, um etwas auf eine Weise herzustellen, welche ihm besser gefällt, da sich weder derjenige, welcher Geschäftsmodelle entwickelt, noch derjenige, welcher sie umsetzt, in der Lage befindet, auf sein subjektives Urteil hören zu können. Die Subventionierung von Innovationen durch Niedrigzins aufgrund von Fiatwährungen erledigt den Rest. Man muß allerdings sagen, daß diese Kontrolle der Herstellung ein anderes Ziel verfolgt, als jene Platons.

Beziehungskontrolle. Um unangemessene Beziehungen zwischen den Besitzern und den Arbeitern zu verhindern, setzt Platon zum einen auf die Militarisierung der Besitzer durch lebenslangen Kriegsdienst, genauer gesagt bis zur Vollendung des 60. Lebensjahrs, welcher sie von Natur aus mißtrauisch gegenüber Anderen macht, und zum anderen auf möglichst bunt zusammengewürfelte Sklaven und Wanderarbeiter, zu welchen weder die Besitzer, noch sie selbst untereinander natürliche Beziehungen pflegen.

Für die Militarisierung gibt es nur eine amerikanische Parallele in Form des 2. Verfassungszusatzes, welcher dort für Behutsamkeit sorgt, wohingegen die bunte Zusammenwürfelung auch in Deutschland Einzug gehalten hat.

Regelungskontrolle. Bei Platon kann die Staatsbürgerschaft nur als gemeinschaftlich beschlossene Ehrerweisung vergeben werden. Darüberhinaus darf niemand an den Beratungen teilhaben, welcher nicht das 50. Lebensjahr vollendet hat, oder, weil er vielsprechnd ist, zur Probe geladen wurde. Und selbst unter diesen Bedingungen ist es der Versammlung nur für eine Generation gestattet, die Gesetze auszubessern. Danach sind sie ewiggültig und lediglich Bereiche, welche zuvor nicht in Betracht kamen, können noch geregelt werden.

Naja, der Koran ist genau das. Auch nicht zufällig, sondern weil Damaskios in diesem Punkt wie Platon dachte. Das ist aber nur eingeschränkt eine heutige Parallele. Etwas moderner sind die amerikanische Verfassung und das bürgerliche Gesetzbuch, welches ja auch unverändert gilt. Auch die repräsentative Demokratie schützt im Vergleich zur direkten vor unbefugter Regelung, wobei die Befugnis wie im vorigen Beitrag beschrieben bei den Lobbyverbänden liegt.

Fazit. Die Heutigen diskutieren ihre Politik nicht, sondern verpacken sie in Märchen, welche sie wie gebackene Mandeln feilbieten. Die Vereinigten Staaten setzen weniger auf Besitzkontrolle und mehr auf Beziehungskontrolle und Deutschland weniger auf Beziehungskontrolle und mehr auf Besitzkontrolle, aber Platons in den Nomoi ausgedrückten Ideen beherrschen unsere Zeit, gleich in welchem Gewand.

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