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13. Februar 2023

Zahm und wild

Ich habe im Beitrag Los, Segen und Gnade von der Einsamkeit und dem Tod gesprochen, welchen Schule und Beruf mir bescheren würden, und ich denke, daß diese Behauptung näher erörtert werden sollte.

Zunächst einmal handelte es sich beim Vorgeschmack dieser Ungnade in den Worten des vorigen Beitrags um Eingeschnapptheit über mangelnde Entfaltungsverantwortung, und die Frage ist also, ob diese Eingeschnapptheit gerechtfertigt war.

Als ich zwölf Jahre alt war, ging ich auf den Heuboden, um mich zu erhängen, aber nachdem ich das Gleichgewicht verloren hatte und das Tau mir in die Kehle schnitt, blies ich die Sache als dummerhaftig ab. Stattdessen nahm ich mir vor, möglichst anteilnahmslos durch die Schule zu kommen, um dann zu sehen, ob die Universität vielleicht noch etwas für mich zu bieten hat. Allerdings, acht Jahre der Anteilnahmslosigkeit, einschließlich des Wehrdienstes, gehen nicht spurlos an einem vorüber, und als ich mein Studium begann, kannte ich das mir Gehießene nicht mehr mit derselben Klarheit wie mit zwölf Jahren. Nach einem Jahr an der Hochschule wurde das aber wie gesagt durch W.F. korrigiert.

Ich habe mich in den letzten Wochen wiederholt gefragt, was genau mich in Deutschland an meiner Entfaltung gehindert hat. Als ich von der Universität Hamburg an die Christian-Albrechts-Universität wechselte, meinte die Beamtin, welche mir die Exmatrikulation ausstellte, daß es schade sei, daß ich es nicht geschafft hätte. Ich entgegnete nichts, nicht nur hatte ich bereits die Zulassung für die Christian-Albrechts-Universität in der Tasche, mir lag auch nichts daran, es auf die gemeinte Weise zu schaffen, nämlich mich vor anderen zu beweisen.

Aber das ist es nicht. Ich könnte mich vor anderen beweisen. Die Forderung als solche ist mir ziemlich egal, hätte ich einen guten Grund, würde ich es tun, aber ich meinte, keinen zu haben, schließlich diente meine Hochschulzeit meinem elf Jahre alten Urteile nach nur dem Zweck, die Welt kennenzulernen. Mehr würde mir eh nicht möglich sein: Ich will kein Hausschwein werden.

Was es ist, das Leben der Hausschweine, begann mir erst in den letzten paar Jahren klar zu werden. Und erst heute kann ich es auf den Punkt bringen: Der wilde Mensch erlebt, der zahme schwelgt.

Ich möchte diesen Gegensatz an zwei Musikstücken erörtern.

Wildheit: Supertramp - Aubade and I Am Not Like Other Birds of Prey.



Verstörende Eindrücke drängen sich auf, aber es sind nur Schatten, die Sonne geht auf, und das Licht der Einsicht strömt herein. Und in ihm erkennen wir unsere Abhängigkeit, das Gültige und unsere Verantwortlichkeit. Warum sind Magnum-Episoden lustig? Weil wir Dinge wiedererkennen, welche wir selbst erlebt haben. Warum fesseln uns Hitchcock's Filme? Weil sie Dinge aufgreifen, welche uns beschäftigen. Der wilde Mensch erfreut sich am Spiegelbild seines Lebens, weil er sich mit seinen Erlebnissen beschäftigt und ihr Spiegelbild ihm dabei hilft.

Zahmheit: Pet Shop Boys - Tonight Is Forever.



Verstörende Eindrücke drängen sich auf, aber wir denken nicht darüber nach. Dort drüben gibt es anheimelnde Eindrücke, welche Sicherheit vor den Übeln versprechen, welche die verstörenden Eindrücke ankündigen. Erst wird der zahme Mensch traumatisiert, dann ihm ein Refugium zugewiesen. Der Masochist schwelgt in seiner Gängelung, die übrigen in den Aushängeschildern ihres Refugiums: schick ist's und eine Eintrittskarte zu den Wundern, welche die Dunkelmänner im Hintergrund ihren Schützlingen bereiten, ein Saal voller unterwürfiger Verheißung.

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