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17. Juni 2024

Entwicklungs- und Aneignungsdoktrinen

Das Potentiale ist die Flamme, an welcher sich jene, welche nur das Aktuale sehen, verbrennen, wenn sie nach ihm greifen.

Unsere Ausrichtung ist entweder spontan oder methodisch, und wenn sie methodisch ist, ist die ihr zugrundeliegende Haltung, welche ich Umgang nenne, entweder individueller Art oder gemeinschaftlicher, und wenn sie gemeinschaftlicher Art ist und den Umgang mit der Weltlage betrifft, so nenne ich sie eine Doktrin oder den Umgang doktrinär.

Menschen nehmen Doktrinen an, weil Doktrinen Gruppen in die Lage versetzen, gemeinsam der Weltlage zu begegnen, und ihnen so das Gefühl vermitteln, wenigstens zum Teil Herr ihres eigenen Schicksals zu sein.

Jeder Umgang beruht auf der Klassifikation des Standes, mit welchem er umgeht, da ihre Klassen die Anwendung seiner Regeln bedingen, und da wir also gezwungen sind, jeden Stand, mit welchem wir methodisch umgehen wollen, unter ihre Klassen zu bringen, fördert das Vorhandensein eines formal fixierten Umgangs das Schablonendenken, wobei die Schablonen die Klassen seiner Klassifizierung bezeichnen.

Und wie also zu erwarten lassen sich Menschen, deren Umgang doktrinär ist, daran erkennen, daß sie die Welt, zur Not auch gewaltsam, in seine Schablonen pressen, wobei sie sich nicht der Doktrin entsprechender Ausrichtungsmöglichkeiten aufgrund der Verweigerung einer sachlichen Lageerfassung (eines sachlichen Zurechtfindens) begeben.

Jede Doktrin beschneidet das Potentiale also durch ihre Schablonen, und gerade darin besteht der Zauber von Supertramp's Album Crime of the Century, daß es es im adoktrinären, fragenden und zweifelnden, Geist der Jugend nicht beschneidet, sondern seine Fühler in es ausstreckt, ganz im Gegensatz zur schneidenden, zynisch selbstgewissen Rede mancher Indoktrinierten, und doch sind manche Doktrinen für es offen, indem sie der Weltlage mit dem Ziel begegnen, eine Entwicklung zu fördern, etwa
  • eine ideelle, die Bildung betreffende, in der Gesellschaft, wie im Zeitalter der Wunder,
  • eine funktionale, die Organisation betreffende, in ihr, wie im Zeitalter der Wacht, oder
  • eine materielle, die Technologie betreffende, in ihr, wie im Zeitalter der Werke,
und wenn er vielleicht auch nicht jede Facette des generativen Zykels des Zeitalters der Werke in De Civitate Dei ausformuliert hat, denke ich schon, daß Augustinus die Ehre gebührt, die Doktrin unseres Zeitalters nach ihm als die augustinische zu bezeichnen.

Hingegen öffnet sich nicht jede Doktrin auf diese Weise dem Potentialen, denn das Ziel, welches ihre Anhänger verfolgen, mag nicht dort, sondern im Aktualen liegen, und daraus entspringt der Gegensatz zwischen Entwicklungs- und Aneignungsdoktrinen, wie es etwa der Marxismus ist, oder allgemeiner jede Befreiungsdoktrin, welche insgesamt darauf abzielen, sich Aktuales, welches ihnen vorenthalten wird, sei es Wissen, Zugänge oder Macht, anzueignen.

Es ist aber so, wie ich eingangs schrieb: Der zynisch weltverzerrende Griff nach dem Aktualen zeigt, je weiter er gedeiht, desto deutlicher, welche Potentialitäten er ausschließt, und das ist die Flamme, an welcher er sich verbrennt (wobei jene, welche nach dem Aktualen greifen, eben auch nach dem Potentialen greifen - ob sie das nun verstehen oder nicht).

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