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14. Juni 2024

Unterlassung und Selbstfestlegung

Ich habe bisher große Schwierigkeiten damit gehabt, einen Oberbegriff für Gelübde, Anerkennung und Verpflichtung zu finden, ich sprach davon, daß dies totale Anpassungen seien, aber streng genommen folgen totale Anpassungen auf sie.

Hier also schlage ich Selbstfestlegungen als Bezeichnung für diese Trinität vor. Selbstfestlegungen entspringen für gewöhnlich unserer Gehießenheit, Gelübde unserer Vorliebe, Anerkennungen unserem (subjektiven) Glauben und Verpflichtungen unserem Gewissen, aber auch dieses für gewöhnlich ist unbefriedigend. Um ihr Zustandekommen allgemeingültig zu formulieren, greife ich zum ersten auf die Rückschauen und zum zweiten auf die Handlungszergliederung zurück und verfolge den Gedanken, daß wir uns festlegen, um nicht zu unterlassen.

Also erhalten wir die folgenden drei Definitionen: Wenn wir erkennen, daß
  • uns eine Abhängigkeit daran hindert, Gutes anzubahnen, geloben wir, darauf zu verzichten, uns auf sie zu verlassen (wobei das Gottvertrauen die allgemeine Rückfallposition ist),
  • das Ignorieren einer Gültigkeit zu schlechten Nebenwirkungen führt, erkennen wir sie an, und
  • wir durch Unterlassung dafür verantwortlich sind, Schlechtes zu bewirken, verpflichten wir uns.
Ich habe mich zuletzt mit Blick auf El Salvador mit der Frage beschäftigt, wie es sein kann, daß ein Land mit 600000 Einwohnern bis zum Anwachsen von MS-13 auf 70000 Mitglieder wartet, bevor es zu der Überzeugung gelangt, daß es seine politische Dynamik ändern muß. Auf viele der beteiligten Faktoren kann ich keinen Einfluß nehmen, aber wenn politische Selbsttäuschungen daran beteiligt sind, könnte ich sie gegebenenfalls aufdecken.

Wir nehmen jedenfalls an, daß wir in einem politischen System leben, welches es uns erlaubt, seinen Kurs unseren Wünschen gemäß anzupassen, so daß wir also gar nicht Opfer seiner Dynamik werden können. Hinsichtlich seiner militärischen Vorbeugung, Stichwort Wettrüsten, ist das nachweislich falsch, wie ich im vorigen Beitrag und allgemeiner etwa hier in Erinnerung rief. Aber der Einwand, daß das System gezwungen ist, jedes Machtmittel zu ergreifen, um nicht durch ein verschmähtes gestürzt zu werden, ist nicht der einzige, auch wenn er bereits ausreicht, um Albträume für ein ganzes Leben abzuleiten.

Wenn ich mit Karl Marx über den Vorrang der industriellen Produktivität diskutieren müßte, wäre es ein reines Vergnügen, denn im Gegensatz zum letzten Mal, als diese Diskussion auf's Tapet kam und Trotzki Stalin gewaltsam aus seinen bukolischen Träumen riß, ist die Frage der Produktivitätssteigerung nicht mehr mit der Vernichtung von Millionen von unproduktiven Bauern und der Erschaffung von Millionen von produktiven industriellen Arbeiterexistenzen verbunden, sondern drehte sich allenfalls um die gestatteten Pferdestärken.

Aber leider hat sich seitdem auch die Diskussionslage verändert: Unsere politischen Führer rechtfertigen ihre Machtgelüste nicht mehr durch konkrete Projekte, für deren Realisierung sie die Macht benötigen, sondern sie argumentieren schlicht, daß es uns allen um so besser geht, desto mächtiger wir sind, gerade so, wie wenn sich jemand für Microsoft entscheidet, weil er davon ausgeht, daß für Microsoft die meisten Produkte entwickelt werden werden.

Und damit haben wir es nicht mehr mit Menschen, sondern mit Hunden zu tun: Alpha gibt den Kurs vor, und hunderte Millionen Omegas knurren böse, wenn Alpha kritisiert wird.

Und selbstverständlich sind Hunde nicht Herr ihres Schicksals und nehmen keinerlei Einfluß auf die Dynamik, welche ihrem instinktiven Verhalten entspringt. Nun, aber ganz so düster ist es dann auch wieder nicht, denn die anfangs unternommene Analyse unserer Selbstfestlegungen erlaubt es, Klarheit in zwei sich widersprechende Sichtweisen in dieser hündischen Situation zu bringen.

Die erste Sichtweise geht zurecht davon aus, daß so ein Omegahund doch sehr genau weiß, was gut für ihn ist, und daß ihm sein Instinkt zielsicher den Weg dorthin weist. Und die zweite Sichtweise geht zurecht davon aus, daß diese Omegahunde zumeist nicht über die Erfahrung verfügen, um zu verstehen, was ihnen auf einem eingeschlagenen Kurs begegnet.

Die Wahl der politischen Ziele kann auf der Basis der Selbstfestlegung erfolgen und bedarf daher keiner größeren Erfahrung, das heißt ein begnadeter Jüngling mag dabei nicht schlechter fahren als ein gestandener Mann, aber die dann nötige Anpassung an diese Selbstfestlegung ist etwas, was erlernt werden muß, und also nur von in ihr Erfahrenen qualifiziert beurteilt wird, und das heißt für politische Wahlen, daß das gemeine Volk zwar qualifiziert politische Ziele festlegen kann, aber nur diejenigen, welche sich bereits ein Leben lang diesen Zielen gemäß festgelegt haben, können die nötigen Anpassungen an sie qualifiziert vornehmen, und wo Repräsentanten, welche sich durch nichts als ein Gespür für populäre Ziele auszeichnen, über sie entscheiden, kommt es eben zu kolossalen Fehlentwicklungen. Andererseits heißt das aber auch, daß, wenn es eine erfahrene Klasse von Anpassern gibt, diese auch nach einer politischen Kursänderung weiterhin dem alten Kurs gemäß anpassen werden und für den neuen also ein weiteres Hindernis bilden, das heißt: Sind die Anpasser unqualifiziert, so kontrollieren sie die Dynamik nicht, und sind sie qualifiziert, so wehren sie Versuche, die Dynamik anders zu kontrollieren, ab, und wir sind wieder Opfer der Dynamik, und wenn wir uns dies nur eingestünden, würden wir wahrscheinlich damit aufhören, verträumt vor uns hinzuhecheln und darüber wachen, die zu erwartenden Anpassungsfehlentwicklungen, sei es wegen Inkompetenz oder anderweitiger Loyalität, zu vermeiden.

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