Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

8. März 2012

Reiseimpressionen

Frankreich. Es ist erstaunlich, wie sehr Frankreich einer Wüste gleicht, in welcher seine Städte die Oasen bilden. Und auch diese Oasen sind seltsam steif, alles ist auf seinen Zweck ausgerichtet, die Franzosen verfolgen ihre Geschäfte mit dem Trotz eines Kindes, welchem man seinen Willen verboten hat, aber zugleich mit der Reife des Alters, die Genüsse des Lebens auskostend.

Warm sind sie, aber vernünftig und sich theatralischer Stanzen zur Unterstreichung ihrer Würde bedienend.

Die Kirchen wirken offen und integriert, zugleich aber drohend schwer, nicht durch ihre Masse, sondern durch die Gesetzmäßigkeit ihrer Form. Fast scheint es, als flösse die Stadt aus der Kirche aus.

Alles in Frankreich ist eine Aufführung, gesittet und distanziert. Aber den Franzosen gefällt es, ihre Rolle spielen zu können. Es ist ihr heimliches Vergnügen.

Deutschland. Gediegenheit, den Gast bei der Hand nehmend und ihm versichernd, daß es das bei uns auch gebe. Mit breiter Brust prahlend und stolz auf die eigenen Werke, als wären sie leibliche Kinder.

Die Deutschen stehen sich leicht gegenseitig auf den Füßen und vergessen sich dabei, so daß es zu kindisch bizarren Auftritten kommt. Ihre Städte verraten weniger Konzeptionen als eifrige Anpassung an den Geschmack der Nachbarn.

Ihre Kirchen sind Fluchtburgen, ziehen sich förmlich vor der sie umgebenden Stadt zurück.

Schweden. Ein Land zwischen Ordnung und Ausbruch.

Die Landstraßen gerade und zum Schutz vor Elchen eingezäunt, die Fahrzeuge mit Sollgeschwindigkeit bewegt. Blumenbeete am Stadteingang zum Willkommensgruß. Die Städte etwas grau, die Landhäuser strahlend.

In der Öffentlichkeit die Menschen steif und abmessend, in privat empfundener Umgebung vertrauens- und leutselig oder ungezügelt auftrumpfend.

Die Kirchen verwunschen, in der Waage zwischen Träumen und Erinnerungen, umhegte Orte der Verletzlichkeit.

Polen. Die Polen lieben die Verschleierung, Haus und Garten im Tal hinter bewaldetem Hügel.

Die Insignien des Staates wirken schwer und alt, wie moosüberwachsene Grenzposten im Fichtenwald. Die Menschen entziehen sich der Ordnung gleich wie sie sie erdulden.

Sie sind von einer eröffnenden Wärme, sowohl unter einander als auch zu Fremden. Ein Spiel mit Türen in einem Palais, frivol, gedankenlos, unterschwellig katholisch.

Es zeigt sich zuweilen auch im Stadtbild, wenn es zu schmücken und auszuschildern gilt, die selbe kindliche Offenheit und Fürsorge.

Ihre Kirchen habe ich nicht gesehen, nur die Reste und Restaurationen deutscher Kirchen.

Estland. Es liegt eine Schwere unter dem Land, es bricht durch die Jahreszeiten wie ein Eisbrecher durchs Eis, nie wird es im Innersten von ihnen berührt, stets bleibt die Erinnerung an das Kommende wach, vermischen sich die Zeiten in eins.

Die Menschen lauern in individuell eingerichteten Nischen dem Fremden auf, stets besorgt, sich mit dem Nötigen zu versorgen. Sie selbst sind vorsichtig, schwelgerisch, gelegentlich ausreißend, dabei mit zunehmendem Alter klarsichtiger und selbstsicherer. Oftmals sieht man sie sich gegenseitig übertölpeln.

Ihre Städte gleichen Katalogen der Architekturgeschichte, Zeugnisse jahrhundertelangen Ausbesserns, und ihre Landhäuser Paradiesentwürfen.

Die Kirchen durchsetzen abstrakten Symbolen gleich die Landschaft, weiße, massive Bauten des Ideellen.

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