Bereitschaftsbeitrag

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25. August 2012

Einige Bemerkungen zu einem Vortrag Prof. Dr. Schachtschneiders



Schachtschneider spannt hier zwei Gegensätze auf, ein Mal zwischen Volksherrschaft und Republik, einschließlich dem zwischen Dezisionismus und Kognitivismus und zum anderen zwischen Religion und Philosophie, welchen ich nicht folge.

Worin unterscheidet sich denn ein Guru, welcher Jünger um sich schart von einem Philosophen, welcher Schüler um sich schart? Beide glauben für gewöhnlich an Gott und daß sie durch ihre Lehrtätigkeit die Erkenntnis der göttlichen Ordnung fördern, und beide entwickeln ein moralisches System auf dieser Grundlage.

Der Ausschluß der Religion aus diesem Bereich ist ausgesprochen töricht, schon alleine weil man sich auf diese Weise einer wertvollen Vergleichsmöglichkeit benimmt. Wenn man wie Schachtschneider vom Allgemeinwohl her denkt, sollte man sich geradezu dafür schämen zu sagen, daß es erst durch die Erklärung der Menschenrechte ins Blickfeld der Politik geraten ist. Ich will an dieser Stelle nicht auf die Dynamik zu sprechen kommen, welche sich aus der internationalen Instrumentalisierung der Menschenrechte ergibt, nämlich die Aufhebung der nationalen Souveränität und damit die Aufhebung der Fähigkeit, Politik im Sinne des Gemeinwohls zu gestalten, denn ich möchte diesen Beitrag nutzen, um meine von Schachtschneider abweichenden Positionen zu Volksherrschaft und Religion zu verteidigen, und dazu gehört die reale Wirkung der Menschenrechte nur am Rande.

Nachdem ich also den Gegensatz zwischen Religion und Philosophie mit ein paar Worten für nichtig erklärt habe, möchte ich mich jetzt etwas ausführlicher mit der von Schachtschneider gemeinten Republik beschäftigen.

Nach ihm, Schachtschneider, gibt es so etwas wie ein richtiges Recht, welches sich die Menschen zu finden bemühten. Nun, das sagt das Wort Recht einerseits natürlich schon von sich aus, aber in dieser Bedeutung ist damit nicht eine Sammlung von Gesetzen gemeint, sondern das Empfinden, welches sich im eigenen Gewissen einstellt, und wenn man jetzt andererseits hergeht und diese subjektive Richtigkeit der eigenen Haltung in eine objektive Richtigkeit der öffentlichen Verfassung umwandelt, so hat man den Grund ihrer Gültigkeit verlassen.

Schachtschneider meint, daß das Liebesgebot  diesen Grund wiederherstellen könne, aber das ist nicht wirklichkeitsnah gedacht. Zunächst einmal müßte man fragen, was Liebe hier eigentlich bedeutet. Mein Verständnis der Bibel ist, daß ich anderen zur Erkenntnis der göttlichen Ordnung verhelfe, damit diese sich nicht quälen, weil sie sich und die Welt nicht verstehen. Dieses kann man allgemein bejahen, ohne Ansehung der Situation. Aber wer darunter mehr versteht, Speisung der Hungernden und so weiter, der muß auf die Situation blicken, denn er kann ja ein Brot nur ein Mal weggeben. Soweit es die Erkenntnis betrifft, ist das Liebesgebot unanfechtbar, weil sich Wissen ohne direkten Wertverlust teilen läßt, aber wo Interessengegensätze entstehen, und das ist überall sonst der Fall und indirekt auch beim Wissen, gibt das Liebesgebot keine vollständige Antwort mehr auf die entstehenden moralischen Fragen.

Man gerät in eine Situation, in welcher die Interessen von Vielen die Interessen Weniger überwiegen. Man gerät an die Grenze des Kognitivismus und in den Bereich des Dezisionismus, einen Bereich, in welchem sich die Republik der Volksherrschaft öffnen muß.

Es gibt aber noch einen anderen Aspekt der Republik, wie sie Schachtschneider vorschwebt, welchen ich kritisieren muß, nämlich die Vorstellung, daß Verfassungsgerichte Wächter der Verfassung sein könnten. Wie gesagt, ich glaube nicht, daß es überhaupt möglich ist, eine Verfassung von quasi göttlichem Rang aufzustellen, weil die Menge der Fragen, welche man allgemein, ohne Ansehung der Situation, moralisch richtig entscheiden kann, sehr überschaubar ist, aber selbst wenn das möglich wäre, so wären Gerichte nicht geeignet sie zu verteidigen, denn ein geschriebener Text läßt sich nicht danach befragen, wie er gemeint gewesen ist in Fällen, welche er nicht explizit beschreibt.

In solchen Fällen fällt irgendjemandem die Interpretationshoheit zu, und auf diesen Jemanden wird fortan Druck ausgeübt, er wird zu einem gewöhnlichen Beteiligten im allgemeinen Gerangel um Macht. Will mir Schachtschneider etwa einreden, daß es ein Zufall ist, daß die einzige Verfassung, welche noch in ihrem ursprünglichen Sinn Anwendung findet, gerade jene ist, welche nicht von Gerichten, sondern von der Umma verteidigt wird?

Der Grund dafür ist einfach, ein Gläubiger ist durch keinerlei Kompetenzgrenzen eingeschränkt. Und daß, wer die Verfassung verteidigt, auch durch keine Kompetenzgrenzen eingeschränkt sein sollte, findet sich schon bei dem exakt 1000 Jahre vor Mohammed geborenen Platon. Sein Philosophenkönig ist aus den Reihen des Kriegerstandes rekrutiert und hat also selbst Erfahrung mit der Anwendung von physischer Gewalt. Es ist der Prozeß seiner Selektion, welcher bei Platon das Recht garantiert, nicht das geschriebene Wort, bei den Moslems ist es die systematische Militarisierung der Gläubigen, also jener, welche glauben, daß das geschriebene Wort von Gott stammt. Platon sucht unter Kriegern nach Philosophen und die Moslems unter Gläubigen nach Kriegern. Das Ergebnis ist in etwa dasselbe.

Die katholische Kirche nun hat während ihrer Herrschaft dieses System dahingehend modifiziert, daß sie zwar unter Heerführern nach Königen Ausschau hielt, dabei aber vermittels der Juden die eigentliche Macht in den Händen behielt. Das hätte sie freilich nicht tun können, wenn die Allgemeinheit ihr Spiel durchschaut hätte, denn dann hätte die Kirche sie ja schlecht gegen die Juden aufhetzen können, falls diese sich weigerten, einem mißliebigen König die Staatsfinanzen zu entziehen.

Aber auch die Kirche hat keine Kompetenzgrenzen akzeptiert, sich lediglich in der Gewaltanwendung auf eine bestimmte Wirkweise beschränkt. Die Frage ist berechtigt, ob es möglich ist, daß eine Kirche offen sagt, was sie tut, und weiterhin effektiv bleibt. Aber ich hege die Hoffnung, daß die Menschen klug genug sind, um zu verstehen, daß es in ihrem eigenen Interesse ist, eine Institution zu unterstützen, welche gegebenenfalls zwar nicht selber das Recht bricht, aber den Rechtsbruch für die Menschen organisiert.

In Deutschland haben heutzutage Parteien diese Rolle übernommen, nur verantworten sich Parteien nicht vor Gott. Ich betrachte meine Position in dieser Frage als reine Vernunft. Irgendjemand wird immer in diese Rolle schlüpfen, und je strenger seine Selbstverpflichtung ist, desto besser. Die strengsten Selbstverpflichtungen sind aber religiöse Selbstverpflichtungen. Auch ist es gut, wenn zwischen diesen die größtmögliche Einigkeit besteht, weshalb nirgendwo geduldet werden darf, daß mehrere Religionen diesen Anspruch stellen.

Aber gut, davon schrieb ich ja auch schon. Ich wollte es nur noch einmal wiederholen, um klarzumachen, von welcher Art meine Ablehnung der vorherrschenden Meinung in diesen Fragen ist, nämlich daß ich denke, daß diese Meinung nicht auf der Realität fußt und zu nichts außer Verfall führen kann.

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