Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

2. Juli 2014

Entschlossenere Zeiten?

Natürlich besteht ein himmelweiter Unterschied zwischen der Welt der politisch Interessierten und der Welt der am Leben Interessierten.

Das hab' ich mir gestern Abend, oder auch schon heute früh, dunkel wird's hier ja zur Zeit nicht, gedacht, als Deutschland in die Verlängerung gegen Algerien ging und ich mir vornahm, jetzt doch noch das estnische Fernsehprogramm zu verfolgen, wo das Erwartete so hartnäckig auszubleiben gewillt schien.

Gerade als die Internetverbindung stand, machte Lahm irgendein Machoposing, danach waren damit Müller und Schürrle an der Reihe, aber bei Lahm wirkte es etwas peinlich, schülertheaterhaft, eigentlich so, als wollte er sagen: Hey, auch der Coolste kann sich mal verschießen.

Da regte sich gleich etwas Feindliches in mir: Spiel gefälligst Fußball, du Affe! Jetzt weiß ich auch, warum es noch 0:0 steht!

Aber so ist es eigentlich nicht. Seit Klinsmanns Zeit gehört es dazu, dieses Posen, und als es unter Völler zuletzt ausblieb, paßte es schon nicht mehr in die Zeit.

Als es noch paßte, wurden deutsche Urlauber im Ausland angespuckt, und (fast) jeder Deutsche kultivierte zwei Gesichter, ein oberflächlich freundlich verschlossenes dem Ausland zugewandtes und ein leidenschaftlich offenes anderen Deutschen zugewandtes. Und so war denn auch der deutsche Fußballspieler: Nach außen etwas verstockt, innerlich von der Bedeutung des Sieges für die eigene Gruppe entflammt.

Und so ist es heute einfach nicht mehr. Die Deutschen, und die deutschen Fußballspieler im besonderen, suchen gleichermaßen Anklang in aller Welt. Sie sind heute so, wie die Argentinier schon vor 30 Jahren waren, als der deutsche Zuschauer sie noch als Selbstdarsteller beschimpfte, als eine Truppe von Stars ohne Mannschaftsgeist, bei welcher es halt manchmal läuft und manchmal nicht.

Alles so, wie heute unter Löw. Aber heißen tut's nichts anderes, als daß das Selbstbewußtsein der deutschen Fußballspieler gesundet ist. Es ist der natürliche Zustand, junge, durchtrainierte - obendrein noch erfolgsverwöhnte - Männer geben an. Und alles, was sie sich für sich nehmen, nehmen sie sich von der Mannschaft.

Lassen wir ihnen das, es ist auch gerecht, denn alle tun's, außer, sagen wir, Japan, aber die gewinnen deswegen noch lange nicht - das Handicap der Natur selbst.

Haben unsere Politiker Anteil daran?

Insgesamt, über die Jahrzehnte, durchaus, aber mit den derzeit Wirkenden hat es nichts zu tun. Und auch insgesamt über die Jahrzehnte ist es lediglich das Verdienst der Unterlassung, die Zeit daran zu hindern, Wunden zu heilen.

Übrigens kann man dieses an der deutschen Fußballnationalmannschaft studierte Phänomen auch als Gleichnis für den politischen Sinn, welcher nicht mit dem Interesse für Politik verwechselt werden sollte, von Völkern verstehen: Sind Völker gesund, durchtrainiert und erfolgsverwöhnt, lahmt er etwas, sind sie's nicht, spannt er sich an.

Und damit möchte ich auf das titelgebende Thema kommen. Es ist mir nämlich noch etwas aufgefallen in der letzten Zeit, nämlich daß politisch Interessierte zunehmend auf dem Standpunkt stehen, genug gehört zu haben, und vermehrt so etwas wie einen heiligen Eifer bei der Verbreitung ihrer Sichtweise entwickeln.

Es ist kein schönes Bild. Aber so ist es: Einer sieht den Andern aufbrechen und bricht selber auf. Alle allerdings in unterschiedliche Richtungen.

Aber es ist ein Aufbruch von Affen in einer Zeit ohne politischen Sinn. Andererseits, wovon dessen Anspannung abhängt ist bekannt, und vielleicht zeigt sich dieser Aufbruch der Affen im Rückblick als Warmlaufen.

Das Indiz ist mir wichtiger als ihr Schicksal, aber wenn es so kommt, was steht zu erwarten?

Sinndiskussionen? Welterklärungen und -entwürfe? Plötzlich überall? Im Wettstreit mit einander, jenseits der Fähigkeit zur Synthese?

So ist der Mensch! Eifer entwickelt er erst, wenn er schon alle Antworten kennt! Das Zusammentragen, erwägen und verbinden lockt keinen Hund hinter'm Ofen hervor.

Und die allermeisten meinen umgekehrt auch, alle Antworten zu kennen, wenn sie vom Eifer angesteckt werden.

Etwas in der Art. Es läßt sich nicht vermeiden, so wie sexuelle Erregung sexuell erregt. In der heutigen Lage könnte man es auch im doppelten Sinne Johannestrieb nennen. Der falsche Prophet gehört zur historischen Funktion des echten, wär' man bös', könnte man sich an der - unwiderlegbaren - Aussage weiden, daß der echte Prophet existiert, damit der falsche existieren kann.

Seiet also gewarnt!
und haltet eure Entschlossenheit am Pflock des Lebens gebunden,
daß sie nicht von den Täuschungen grase,
an welchen die Masse wie ihren Schäflein hängt,
sie gegen alle Einsicht ins Trockene zu bringen,
wo nichts als bodenloses Meer ist.

Und doch, es sind stets jene, welche sich verirren, welche finden werden. Das betrifft fremde Länder genauso wie die Wahrheit der göttlichen Existenz. Es hat also auch ganz unmittelbar seine gute Seite.

Aber gleich, ob wir vergaßen oder nicht, der abgeschnittene Baum treibt von unten wieder aus, wir müssen das Tote vergessen, damit das Totscheinende auferweckt wird, wobei Lazarus hier die Erfahrung des Mächtigen oder Wesentlichen ist, welche in alle Teile des Lebens führen.

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