Bereitschaftsbeitrag

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21. März 2015

Bekanntschaft

Bekanntschaft heißt, nicht nur das Wesen eines Menschen zu erkennen,
sondern seine Weise, es auszuleben, gleich mit.

Moralische Gegensätze können sich also zwischen Bekannten nicht voll entfalten.

Das ist einerseits angenehm, aber es bringt es auch mit sich, zum Mitwisser all dessen zu werden, was um einen herum geschieht, es stiftet eine stille Kumpanei, und die ist oft genug widerlich, denn die Entschiedenheit, mit welcher die moralischen Abweichler ihren Geschäften nachgehen, beleidigt das eigene moralische Empfinden.

Aber man weiß, daß es nichts bringt, sich darüber zu streiten, denn was man selbst bereit ist aufzugeben, sind es andere noch lange nicht.

Umgekehrt können sich einander nicht bekannte nur schwierig auf ein erprobtes Verhaltensmuster einigen, die folkloristische Ordnung erzeugt moralisch indifferente Kollektive, welche ihre Kollektivinteressen organisiert wahrzunehmen vermögen, jedoch nicht in Folge eines Prozesses intentionaler Selbstorganisation, sondern in Folge allgemeiner Übereinstimmung empirisch gebildeter Erwartungen, welche es dem Einzelnen erlaubt, die Wirkung seines Handelns auf das Kollektiv abzuschätzen. Sie ist also eine Ordnung des Rumpfes, welchem das Haupt, die politische Freiheit, schon lange abhanden gekommen ist, und entsprechend vermag sie auch nicht Neues zu schöpfen, sondern lediglich, sich in Neuem zu bewähren, ihr Wesen ist durchweg passiv, ihre Wertschätzung gilt ihr selbst.

Es ist wichtig, sich dies klar zu machen:
  • Wer keine Organisation mitbegründet, kann nur bestehenden Organisationen beitreten, und
  • wer Teil einer Organisation ist, wird von ihr bestimmt.
Welcher Art sind also die Organisationen, welche dem Einzelnen einen Ausweg aus der folkloristischen Ordnung bieten?

Es gibt ihrer naturgemäß dreier:
  1. Die Organisation der das Volk zu beherrschen fähigen Gewalt,
  2. die Organisation des das Volk zu beschenken fähigen Talents,
  3. die Organisation des das Volk zu aktivieren fähigen Geistes.
Im ersten Fall handelt es sich um einen Bund von Mächtigen im Land, im zweiten um einen Bund von Meistern ihres Fachs und im dritten um einen Bund solcher, welchen es um die Form des Gemeinwesens geht.

Letztere bilden eine Rechtsschule und gegebenenfalls eine Kirche, also wenn sie Organisationen ersterer Art zum Vehikel ihrer Vorstellungen machen, wozu sie ihnen selbstverständlich Fesseln anzulegen in der Lage sein müssen.

Entscheidend für eine Rechtsschule ist aber nicht ihr architektonisches Geschick, sondern ihre Verankerung in einem Glauben, denn ihr Geschäft ist es ja, die Entfaltung eines Geistes zu unterstützen, und Geister ergeben sich einzig aus Glauben. Glaube aber ist immer freiwillig und immer entschieden, er steigt zu den Ängsten hinab, um Ordnung in das Notwendige zu bringen, indem er die menschliche Größe aufdeckt.

Die Koordination verschiedener Geister, welche auf einen gemeinsamen Geist zurückgehen, wie etwa Noahs Söhne dadurch vor weiteren Sündfluten verschont bleiben, daß sie sich an Noahs Gesetze halten, kann zu keiner Zeit mehr erreichen als Übereinkünfte auf dem Boden des gemeinsamen Fundaments, der Mensch macht sich zwar alles zu Nutze, was ihm nützt, und synthetisiert so seine Techniken, aber zugleich diversifiziert er sich selbst, wie alles in der Natur: Die Gemeinsamkeit aller Menschen steht am Anfang und nicht am Ende ihrer Geschichte.

Zugleich allerdings liegt im Menschsein das Versprechen einer ursprünglichen Größe, welche die Abweichungen zu wägen weiß gegenüber dem unverbrüchlichen Fundament des Menschseins selbst, wir können also nichts vereinigen, aber wir können im Fall der Fälle auf überflüssiges verzichten.

Ein solcher Verzicht führt selbstverständlich zum Zerfall der folkloristischen Ordnung, aber er tut es aus der Höhe der Glaubenserkenntnis heraus, und er ist nicht zu ihrem Tode, sondern zu ihrer Auferstehung.

Ich verwende hier biblische Sprache, da sich dieses Versprechen als Gnade zu erfüllen pflegt, die Menschheit also nicht Höhen stürmt, auf deren Gipfel sie ihre ursprüngliche Größe findet, sondern sich vielmehr in Abgründe hineinziehen läßt, in welchen sie sich auf sie besinnt. Es ist also wie in der Bibel, Lazarus liegt krank und stirbt, aber wird durch Christus wieder auferweckt.

Natürlich gibt es in dieser Angelegenheit verschiedene Grade der Reformierung und verschiedene Wesen des Vorzugs des Neuen, von notwendig bis verzaubernd, und es ist nicht so, daß der tiefste Herzenswunsch der Garant für die reichste Ernte wäre, sondern vielmehr der Beleg für Wunden, von welchen zu heilen, schon viel ist. Anders ausgedrückt: Was sich erschöpft hat, tritt in der folgenden Zeit kürzer.

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