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9. August 2020

Freie und gezwungene Einfindung in die Gesellschaft

Das höchste christliche Gebot, Gott zu lieben und seinen Nächsten, wie sich selbst, kann nur befolgt werden, indem wir Gott genügen wollen und anerkennen, daß auch unser Nächster es will, und gesellschaftlich kann sich dies nicht anders ausdrücken, als daß sich Christen als Christen frei in die Gesellschaft einfinden.

Ich schreibe als Christen, weil Christen in der Vergangenheit alles andere als frei waren, nämlich Feudalherren unterworfen. Es blieb ihnen aber auch damals noch genug Freiheit, um sich ihrem eigenen Verständnis nach als Christen zu erweisen.

Indem eine Gesellschaft Freiheiten gewährt, beziehungsweise nicht gewährt, erzeugt sie verschiede Arten von Mißtrauen, nämlich einmal das Mißtrauen gegenüber der Freiheit und das andere das Mißtrauen gegenüber dem Zwang.

Die im gestrigen Beitrag beschriebene Stutzung des Seelenlebens durch eine welterklärende Phantasie, nennen wir sie im hiesigen Zusammenhang den gemeinschaftsstiftenden Mythos, erzeugt einen Rahmen, in welchen sich die Gesellschaftsmitglieder einzufinden haben, und trägt damit dazu bei, das Mißtrauen gegenüber der Freiheit zu mindern.

Allerdings muß ein gemeinschaftsstiftender Mythos nicht jede Facette des Lebens erklären, um als solcher zu taugen, er kann Aspekte aussparen, doch besteht die natürliche Neigung, den Mythos zu perfektionieren, bis er tatsächlich alle Aspekte des Lebens erklärt. Doch indem er immer mehr erklärt, wird das Leben der Sorge zunehmend ausgehungert, und genau diesen Verlust an Würde im Verlauf der letzten Jahrhunderte betrachtete ich bereits vor sieben Jahren anhand von fünf Portraits.

Heute ist es zu der absonderlichen Situation gekommen, daß jene, welche anderen die freie Einfindung als Christen in die Gesellschaft nicht ermöglichen, und also dem von ihnen selbst erzeugten Zwang mißtrauisch gegenüberstehen, da er sich ja auch gegen sie selbst wenden könnte, mit anderen Worten also schlechte Christen oder gar keine, über eine Würde verfügen, welche guten Christen aus den Gesellschaften mit den fortschrittlichsten gemeinschaftsstiftenden Mythen gar nicht mehr kennen.

Das ändert aber nichts daran, daß auch diese Christen, deren Sorge sich nicht über das Niveau eines Kindes hinaus entwickelt hat, Gott genügen wollen, und in dem Moment, in welchem der Rahmen, in welchem alles nach Plan verläuft, beginnt, sich als unzulänglich zu erweisen, wird ihre Sorge wieder erwachen, werden sie wieder beginnen, sich eigene Fragen zu stellen, um herauszufinden, wie sie Gott auch genügen können.

Und deshalb baue ich auf jene, welche nicht das Geschrei auf den Gassen antreibt, sondern ihre Rechtfertigung vor Gott, auch wenn sie zur Zeit geistlos erscheinen mögen.

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