Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

8. August 2020

Zur Stutzung des Seelenlebens

Das Pantheon der urbildlichen Verhaltensformen beschreibt das Leben unserer Seele:
  • die Lust verleibt sich ein und prägt,
  • die Achtung erlernt und wendet an und
  • die Sorge untersucht und ordnet.
Zu erlernen und zu untersuchen ist zugleich sich einzuverleiben und anzuwenden und zu ordnen zugleich zu prägen. Und wenn wir etwas untersuchen, so erlernen wir, wie es logisch zusammenpaßt, und wenn wir dieses anwenden, so ordnen wir.

Jeder Seelenteil kann sich eigentümlich oder forderungsgemäß ausdrücken. Von Seelenleben möchte ich aber nur dann sprechen, wenn Prägung, Anwendung oder Ordnung eigentümlich sind.

Niemand wird auf den Gedanken verfallen, Lust oder Achtung auszuhungern, um sie zu stutzen, da die Gesellschaft auf Prägung und Anwendung angewiesen ist. Stattdessen wird die Eigentümlichkeit der Prägung und Anwendung durch Verordnungen eingeschränkt und ihre Forderungsgemäßheit durch Anreize gefördert.

Die Aushungerung der Sorge ist hingegen der Normalfall in entwickelten Gesellschaften, da sie weiterer Ordnung nur sehr eingeschränkt bedürfen, beispielsweise in der Mathematik und den Naturwissenschaften.

Die Würde eines Mensch besteht in den Antworten, welche er selbst auf das Leben gefunden hat, und also wird nur jener Mensch würdevoll erscheinen, welcher seine eigenen Fragen hat, und jeder Mensch, welcher seine eigenen Fragen hat, ist ansprechbar, weshalb ich Würde und Ansprechbarkeit gleichsetzte.

Es sind diese Fragen, welche die Sorge mit Nahrung versorgen, und sie entspringen der Zeit,
Aus der punktförmigen entspringen hingegen nur wenige, welche die Anstrengung betreffen, und insbesondere die Gesundung. Und aus der netzförmigen entspringen erst dann welche, wenn erfaßte Verhältnisse selbst wieder in Verhältnissen zu einander stehen.

Der natürliche Zustrom an Fragen erfolgt also durch die lineare Zeit, welche wir durchleben, und zwar auch für den Fall, daß wir Verhältnisse zwischen Verhältnissen untersuchen, insofern es bald zu viele davon gibt, als daß wir entscheiden könnten, welches Verhältnis den Vorzug verdient, und wir somit gezwungen sind, uns auf unsere Intuition zu verlassen, welche uns zu gegebener Zeit ein bestimmtes Verhältnis in Ahnung seiner Bedeutsamkeit verfolgen läßt.

Aber dadurch wird es auch möglich, die Sorge auszuhungern, denn die lineare Zeit kann durch etwas anderes ersetzt werden, nämlich die Phantasie. Nicht jede Phantasie führt dazu, daß wir keine Fragen mehr haben, aber es gibt Phantasien mit dieser Eigenschaft, nämlich solche, welche uns alle weltlichen Vorgänge in stimmiger Art und Weise vorstellen lassen, welche alles hinreichend genau für unsere Bedürfnisse vorhersagen und erklären.

Hangen wir einer solchen Phantasie an, so können wir es daran erkennen, daß uns bestimmte Fragen der Zeit lächerlich erscheinen, und damit meine ich nicht, daß bestimmte Fragen der Zeit einfach saudoof sind, sondern daß wir geradezu zwanghaft über bestimmte Positionen lachen müssen. Sollte sich darüber unser Realitätssinn wieder bemerkbar machen, so werden wir im ersten Moment vor ihm erschaudern.

Unstimmige Phantasien hingegen führen zu Fragen, was auch in der Mathematik als Widerspruchsbeweis benutzt wird, aber letztlich werden wir ihrer überdrüssig, da uns die Nutzlosigkeit ihres Studiums bewußt wird - in der Mathematik, sobald der erste Widerspruch bewiesen ist, sonst, sobald wir bemerken, daß uns immer neue Annahmen doch nur im Kreise herumführen.

Die dominante stimmige Phantasie unserer Tage ist der gesellschaftliche Fortschritt durch Forschung und Dienst am Gemeinwohl, die in Star Trek beschworene aristotelische Selbstoptimierungsgemeinschaft, wie ich sie genannt habe. Auch ich habe ihr in allen Fragen angehangen, welche mich nicht selbst direkt betrafen, weil es leichter ist, als sich zu fragen, was wirklich passieren wird. Doch langsam tritt es zu Tage, was wirklich passieren wird, und die Phantasie verflüchtigt sich.

Es ist interessant, daß uns ausgerechnet unser Humor überführt. Wir erkennen die Inkongruenz des Anschaulichen zu den Kategorien unserer Vernunft, wie es Schopenhauer beschrieben hat, und daß wir nicht wirklich lachen wollen, gibt uns einen Hinweis darauf, daß unsere Vernunft auf Phantasie gebaut ist und wir die (lineare) Zeit nicht mehr verfolgen. Was da lacht ist ein  freches Gör.

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