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6. Januar 2022

Die Erweckungen der Seelenteile

Kinder unterscheiden sich von Erwachsenen dadurch, daß sie ihr Umfeld annehmen, statt es zu gestalten. Ich erwähnte dies bereits im Zusammenhang mit ihrer Stimmung1, 2, aber es begründet auch ihre Selbsterweckungen, durch welche sie ihre Seelenteile erwecken, indem sie vorübergehend aus ihrem Umfeld ausbrechen, um günstigere Bedingungen für ihr Seelenleben zu finden. Zur Erweckung
  • der Anteilnahme dient das Verzieren, in welcher die Sorge wacht,
  • des Umgangs dienen Artigkeit und Erniedrigung, in welchem die Achtung wacht, und
  • der Phantasie dient das Dirigieren, in welcher die Lust wacht.
Die Lust ist ja das Begehren von Formen, und indem wir Modelle (von Menschen, Autos et cetera) dirigieren, führen wir ein Geschehen auf, welches die Phantasie anregt und mit ihr die Lust.

Artigkeit hat das Ziel, jemanden für einen bestimmten Umgang mit einem zu gewinnen, welcher, wenn er zustandekommt, günstig für das Wachen der Achtung ist, und auch der Erniedrigung geht es darum, einen Umgang zu erfahren, nur daß er erzwungen wird (an etwas hinreichend hilflosem, etwa wenn einer Fliege die Flügel ausgerissen werden).

Mit dem Verzieren beschäftigte ich mich schon, weil es nicht auf Kinder beschränkt ist, sondern auch der seelischen Rüstung von reflektiert Gesinnten in melancholischen Phasen dient. Der Unterschied zwischen einem Kind und einem Melancholiker besteht darin, daß das Kind an der Zierde selbst anteilnimmt, wohingegen der Melancholiker an der Reflexion seines Wirkens anteilnimmt, welche er indes dadurch etwas aufhübschen kann, daß er etwas verziert. Die Gemütsschwankungen des reflektiert Gesinnten ergeben sich aus dieser Rückkopplung des eigenen Wirkens im Selbstbild, und das kindliche Verzieren bildet eine Routine, um die negative Rückkopplung zu durchbrechen, wie auch Dirigieren, Artigkeit und Erniedrigen Erweckungsroutinen darstellen, andernfalls es mit ihrer Verläßlichkeit auch nicht weit her wäre.

Indes braucht ein Erwachsener mit der erwähnten Ausnahme diese Routinen nicht mehr, da er an der Welt einen hinreichend erweckenden Gegenstand hat - oder jedenfalls haben sollte. Allerdings war es mir gestern so, als ob mir mehrere jüngere Erwachsene begegneten, welchen nach Dirigieren zu Mute war, während ich mich sehr anderweltig fühlte: ein Kontrast von irdischer Dichte und himmlischer Losgelöstheit.

Nun, die hiesige Betrachtung betrifft mich natürlich auch selbst, da die Frage, woran ich anteilnehme, das Leben meiner Seele bestimmt. Ich nehme an drei Dingen anteil:
  1. den Bedingungen menschlichen Lebens, insofern sie die Verfolgung des Heils erlauben,
  2. den Seligen, welche einen Rahmen für sich gefunden haben, das Heil zu verfolgen, und
  3. den Suchenden, welche gerne einen solchen Rahmen hätten.
Meine Anteilnahme an den Bedingungen selbst besteht im sie beurteilenden Gebet, also sie zu segnen oder sie zu verfluchen, meine Anteilnahme an den Seligen darin, über ihren Schlaf zu wachen, sie nicht zu stören und mitzuhelfen, daß sie auch kein anderer stört, und meine Anteilnahme an den Suchenden darin, ihnen dabei zu helfen, ihren Rahmen zu finden.

Ich verhalte mich durchaus so, wenn ich Menschen gegenüber stehe, aber ich habe selbstverständlich keinen Einfluß darauf, wer hier meine Worte liest. Jedenfalls glaube ich daran, daß die bestehenden Rahmen zerbrochen werden werden, welchen Glauben ich hier ja nur beschreibe. Und es werden zunehmend mehr Rahmen zerbrochen. Und indem das geschieht, nimmt meine Seele an immer weniger Seligen anteil. Und darin liegt offensichtlich die Gefahr, daß der Fluch der bestehenden Bedingungen die Leere ausfüllt. Das Einzige, was ihm entgegentreten kann, ist die Hilfe dabei, Rahmen zu finden, in welchen sich das Heil verfolgen läßt. Aber an der Stelle, an welcher wir stehen, da die bestehenden Rahmen zerbrechen, müssen wir doch dem Ursprung näher kommen, um neue Rahmen zu finden, müssen wir doch Gott sehen, um die Richtung zu erkennen, in welche er uns gehen heißt, kann doch nicht ein durch unsere Lebenspraxis geformtes Zerrbild unser Leitstern sein.

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