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26. Juli 2024

Die Grade der politischen Zivilisiertheit

Es gibt drei Grade der politischen Zivilisiertheit, welche sich durch Gelübde bei der Etablierung der politischen Ordnung unterscheiden, nämlich
  1. nichts zu geloben und eine Kampagne zur Etablierung der politischen Ordnung zu planen,
  2. zu geloben, politische Ämter nicht an sich zu reißen, sondern politische Rollen nur dann auszufüllen, wenn man als zuständig für sie angesehen wird, und eine Werbung für die eigene Zuständigkeit für die Etablierung der politischen Ordnung zu planen, und
  3. zu geloben, lediglich beliebte politische Ordnungen zu etablieren, und die Beliebtheit der politischen Ordnung zu planen (also zu versuchen, eine beliebte politische Ordnung zu entwerfen).
Natürlicherweise wird die durch eine
  • Kampagne hervorgebrachte politische Ordnung eine Unrechtsordnung sein,
  • Werbung hervorgebrachte eine ungerechte Ordnung und
  • Beliebtheitsentsprechung hervorgebrachte eine gerechte.
Eine Unrechtsordnung ist eine solche, in welcher Rechtes verboten ist (beispielsweise sein Haus im Winter durch raucharme Verbrennung warm zu halten) oder Unrechtes erlaubt (etwa Kinder gegen den Willen ihrer Eltern zu kastrieren) oder gar befohlen (etwa die Teilnahme an medizinischen Experimenten). Eine ungerechte Ordnung ist im Gegensatz dazu eine solche, welche die Interessen der Menschen lediglich nicht gleichermaßen berücksichtigt, und eine gerechte berücksichtigt sie entsprechend.

Nun handelt es sich bei der direkten Demokratie in der Schweiz um den dritten Grad der politischen Zivilisiertheit und bei der repräsentativen in Deutschland um den zweiten, und so tritt hier also eine unnatürliche Situation auf, welche eine Erklärung verlangt. Diese wird meines Erachtens durch die Endlichkeit des Wettbewerbs gegeben, welche desto schwerer ins Gewicht fällt, desto niedriger der Grad der politischen Zivilisiertheit ist:
  • gäbe es unendlich viele Wettbewerber, welche alle erfolgversprechende Kampagnen ersönnen, müßte sich am Ende schon eine recht brauchbare Ordnung durchsetzen, aber tatsächlich verschlingt der Wettbewerb in Form von Bürgerkriegen erhebliche Ressourcen, so daß selbst schwerwiegende Ordnungsmißstände geduldet werden,
  • gäbe es unendlich viele Wettbewerber, welche alle erfolgversprechende Werbungen ersönnen, so würde die Beteiligung an der Etablierung einer Unrechtsordnung die Beteiligten sicher disqualifizieren, aber tatsächlich bewerben sich nur eine handvoll Bewerber, wenn nicht gar nur zwei, und anstatt die eigene Qualifikation zu bewerben, verfallen die Bewerber oftmals darauf, die Qualifikation ihrer Mitbewerber zu verleumden, und
  • gäbe es unendlich viele Wettbewerber, welche alle erfolgversprechende Beliebtheitsentsprechungen ersönnen, so würde die etablierte Ordnung vollkommen sein, aber tatsächlich stehen immer nur einzelne Verbesserungsvorschläge zur Wahl, so daß sich die politische Ordnung der Vollkommenheit nur langsam annähert.
Es ist also wie in der Schule und überall im Leben: Je tiefer du stehst, desto schwieriger wird es mitzuhalten.

Nun, ich habe im vorigen Beitrag gewaltsame Konflikte nach der Bewegung von Regierungen im funktionalen Zykel klassifiziert, und es ist eine natürliche Erwartung, daß politische Zivilisiertheit gewaltsame Konflikte vermeiden hilft, und dem ist auch so, und zwar im folgenden Sinne:
  • eine Destabilisierung ist moralisch nicht zu rechtfertigen, wenn sowohl der Destabilisierte, als auch der Destabilisierende mindestens über den zweiten Grad der politischen Zivilisiertheit verfügen, konkret etwa, wenn sowohl die Ukraine, als auch Rußland Plebiszite über die Staatszugehörigkeit anerkennten,
  • eine Dekretierung ist moralisch nicht zu rechtfertigen, wenn sowohl der Dekretierende, als auch der Dekrete Empfangende über den dritten Grad der politischen Zivilisiertheit verfügen, wie etwa unter meiner politischen Ordnung für das Zeitalter der Wunder,
  • eine Befreiung wird überflüssig, wenn sowohl der sich Befreiende, als auch der sie Erleidende über den zweiten Grad der politischen Zivilisiertheit verfügen, was Mahatma Gandhi den Engländern seinerzeit immer wieder vorhielt, und
  • eine Nachholung wird überflüssig, wenn sowohl die Nachholenwollenden, als auch die von ihr Betroffenen über den dritten Grad der politischen Zivilisiertheit verfügen, wie etwa die Beteiligten am Reform Act 1832 oder jene an der Reichsgründung 1871.
Wie man sieht, ist es den Engländern und Deutschen im 19. Jahrhundert gelungen, in internen Konflikten den dritten Grad der politischen Zivilisiertheit zu erreichen (im Gegensatz zu Amerikanern, Franzosen, Russen und Spaniern), international aber nicht, wie der Erste Weltkrieg beweist. Die heutigen Staaten besitzen größtenteils den zweiten Grad, scheinen aber lieber unter dem ersten Grad zusammenwachsen zu wollen, als die allgemeine Grundlage für den Frieden zu legen.

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