Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

28. April 2011

Zur Idee der Seelenwanderung

An dieser Stelle werde ich mich eher kritisch mit dem Hinduismus auseinandersetzen und Unterschiede zu meinen Ansichten herausstellen.

Im Hinduismus wird das Bild eines sich zu allen Zeiten manifestierenden Gottes gebraucht, welcher für die sich im Umlauf befindenden Seelen verschiedene Rollen bereit hält, je nach dem, wie wacker sie sich im letzten Leben geschlagen haben.

Die Rollen in diesem Bild stehen fest und sind das Ergebnis göttlichen Ratschlusses. Die Beziehung des Einzelnen zu Gott ist eine Abzahlung einer Schuld.

Nun glaube ich nicht unbedingt, daß dieses Bild die innersten Ansichten des Hinduismus getreu widerspiegelt, denn in diesem Bild gibt es beispielsweise keine Wirkung in der Wirkungslosigkeit und keine Wirkungslosigkeit in der Wirkung, sondern nur Belohnung in der Wirkungsloskeit und ausbleibende Belohnung in der Wirkung, aber nichtsdestotrotz halte ich es für maßgeblich genug, um mich von ihm abgrenzen zu müssen.

Machen wir es einfach, gehen wir von den Rollen aus. Gott manifestiert sich in der Tat zu allen Zeiten in unterschiedlichen Rollen. Aber diese Rollen entspringen nicht allein göttlichem Ratschluß, sondern entwickeln oder stabilisieren sich unter Mitwirkung von uns. Unsere Beziehung zu Gott ist kein bloßes Abzahlen einer Schuld, sondern vielmehr die Übernahme einer Patenschaft für eine veränderliche Rolle, welche auch nach unserem Tod im Repertoire Gottes bleibt. Nicht die Seele wandert, sondern der Willenskeim zu einer bestimmten Rolle.

Um sich die eigenen Pflichten, welche sich aus diesem Umstand ergeben, klar zu machen, blicke man zunächst schlicht auf die Frage, was es bedeutet, wenn eine Rolle nicht stabil ist.

Wenn eine Rolle nicht stabil ist, verkommt sie entweder und geht zu Grunde oder sie formt sich zu einem anderen stabilen Zustand hin um. Letzteres ist eher selten der Fall (ich werde allerdings im folgenden auch davon handeln), und somit besteht die grundsätzliche Pflicht eines jeden darin, das Nötige zu tun, um die Stabilität seiner Rolle zu gewährleisten. Diese Pflicht wiegt in der Tat schwerer als die Verantwortung für das eigene Leben, denn sie gilt mehr als ihm, sie gilt der Möglichkeit zu einer bestimmten Form des Lebens, der Form, welche man selber lebt. Hört man auf das Nötige zu tun, so bricht die Rolle zusammen, denn sie bestand überhaupt nur, weil sie alles Überlebensnotwendige enthielt, als ein Satz von Verhaltensweisen, welche zusammengenommen das Überleben ermöglichten.

Oftmals wird man nicht in der Lage sein zu verstehen, welche Verhaltensweise welche Wirkung hat und wie diese alle zusammenkommen, um das eigene Überleben zu gewähren, indes besteht in der eigenen Geburt bereits das stärkste Argument dafür, daß sie das schon auf irgendeine Weise erreichen werden.

Nun wird man vielleicht einwenden, daß man nicht jeder Regung nachgehen sollte. In der Tat, man sollte sich auf den Bereich beschränken, welcher einem heilig ist, denn er ist es einem nicht umsonst. Heiligkeit ist dabei zugleich Geheiß notfalls zu vertrauen, also, wenn man es technisch sieht, ein Gefallen an unseren Vertrauensakten. Allerdings besteht hierbei ein Zirkel der Verzagtheit, da wir erst mit der Erkenntnis, daß wir durch unser Vertrauen mit Gott verbunden sind, das Heilige wahrhaft wertschätzen, dann erst verstehen, daß unser Verbleib in ihm die Gestalt der Welt bestimmt, nicht durch Tat, sondern durch Vertrauen allein und umgekehrt ohne Vertrauen eine solche Erkenntnis nie zu Stande kommt, ein Paradox, welches nur bedingungslose Demut brechen kann.

Kommen wir nun abschließend zu der erwähnten Möglichkeit zur Umgestaltung der eigenen Rolle. Letztlich liegt in unserem Inneren stets noch etwas Ungeformtes, welches, nachdem unsere Einsicht entschieden unser Wesen zurecht gestutzt hat, zu neuer Form sprießen mag.

Einsicht ist der Schlüssel zu jeder solchen Veränderung, ohne Einsicht kommt sie nie zu Stande, wobei die Einsicht nicht notwendigerweise reflektierend festgehalten worden sein muß, es reicht, wenn eine Frage eine Antwort fand.

Eine solche Veränderung ist somit auch nie freiwillig, sondern wird immer durch eine lebensbedrohliche Verletzung unseres Wesens angestoßen, aus welcher wir uns unter Aufbietung all unserer Kräfte retten müssen.

Die Frage mag hier noch erwogen werden, ob es vielleicht so etwas wie eine ideale menschliche Rolle gibt. In gewisser Weise ja, in sofern man die Welt als das betrachtet, was sie ist und die uns vom Heiligen auferlegten Pflichten freudig ergreift.

Andererseits auch wieder nein, denn die obige Rolle ist eine Abstraktion. Jeder kann letztlich nur seine ideale Rolle finden, wobei seine Einsicht sie, wie gesagt, auch noch nach hier- und dorthin umgestalten mag.

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