Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

25. Mai 2012

Was gesagt werden sollte

Anstatt jetzt über weitere Primzahlen in gewissen Restklassen erzeugende Polynome nachzudenken, was ich freilich früher oder später tun werde, aber heute nicht mehr, weil ich letzte Nacht zu schlecht geschlafen habe, erlaube ich mir einige eher polemische Bemerkungen zum Thema Schuld in Deutschland.

Ich kann dem Gerede von einem Schuldkult wenig abgewinnen, denn wenn auch ein Aspekt dieses Geredes den Kern der Sache trifft, so ist doch die ganze mit ihm verknüpfte Phänomenologie im höchsten Grade irreführend.

Die Schuld grassiert als schlechtes Gewissen in Deutschland, aber wer auf niedergelegte Kränze schielt, verliert sie aus den Augen. Die Schuld ist stets eine unmittelbare, sie besteht aus persönlichen Verfehlungen, vor allen anderen der Verfehlung, positive Kritik zu ignorieren. Es fehlt das Vertrauen, zu viele haben eine Bunkermentalität, versuchen ihre Linie gegen alle Widerstände und Vernunft durchzudrücken, weil sie vermeinen, als einzige zu wissen, wie man nunmal mit diesem schwierigen Patienten, welchen man behandelt, umzugehen habe.

Es steht ihnen ins Gesicht geschrieben, Habichtsgesichter, wo man hinschaut, selbst den inkongruentesten Unterlagen aufgeprägt.

Diese kennen ihre Schuld wohl, und sie haben Angst, daß auch andere sie kennen und sie werden desto unumgänglicher, je älter sie werden.

Wenn man sich so jemandem nicht bei Zeiten in den Weg stellt, wird er schließlich jeden, mit welchem er näher zu tun hat, aus dem Weg räumen, es sei denn, er hielte ihn für gänzlich unterbelichtet.

All dies geschieht im hellen Tageslicht, aber niemand schießt den Amok laufenden Elephanten ab, denn es ziemt sich nicht.

Bei Männern ist es nur die Betretenheit darüber, zuvor einen Fehler gemacht zu haben, zu welchem man jetzt stehen müsse, um die Ordnung nicht zu gefährden, bei Frauen gesellen sich noch Vorstellungen von falsch verstandener Ritterlichkeit dazu.

Nein, in solchen Fällen ist es eine moralische Pflicht, die Dinge beim Namen zu nennen.

Alle diese Stümper sind als solche bloßzustellen. Oder sollen wir wirklich glauben, daß jemand, nur weil er sich gestern vor allen verfehlte, heute machen kann, was er will, weil der rechte Moment, ihn zu kritisieren, verstrichen ist?

Doch genau das glauben nicht wenige, und daß sie es glauben hat dann doch etwas damit zu tun, was allgemein mit dem Begriff Schuldkult gemeint ist.

Wir haben das Prinzip verbannt, nach dem derjenige zu bewundern sei, wer Herausragendes vollbracht hat, weil wir denken, daß dieses Prinzip zu Unnachsichtigkeit, ja, Bellizismus führt. Implizit nehmen wir also an, daß den meisten Menschen kriegerische Tugenden am besten gefallen. Ich wage zu bezweifeln, daß es wirklich so ist, aber es ist diese Angst vor dem militärischen Schneid, welche dazu führt, daß wir, wann immer wir einen Idioten an verantwortungsvoller Stelle sehen, bei uns denken, daß wir ihm, unseren Befürchtungen zum Trotz, eine Chance geben sollten, um unserer Bewunderung nicht freien Lauf zu lassen. Und dann geben wir ihm halt diese Chance, und die nächste, und die nächste, und die nächste.

Das ist das Klima in Deutschland und generell im so genannten links-liberalen Spektrum. Aber dieses Klima muß zu Mißtrauen bei jenen führen, welche solcher Art geschont wurden, und aus ihm ergibt sich genau jene Unnachsichtigkeit, vor welcher man anfangs geflohen ist, nur daß sie nun jeden trifft, welcher es wagen könnte zu sagen, daß der Kaiser nackt ist.

Nein, liebe Leute, das ist nicht besser. Und es bleibt da auch nicht stehen.

Was sind das bloß für Hohlköpfe, welche, wenn ihnen aufgrund all dieser Mißstände die ersten Wogen der Gewalt ins Gesicht branden, anfangen, in weinerlichem Ton zu beklagen, daß es immer noch Menschen gibt, welche sie für ihre Zwecke einsetzen?

Wissen diese nicht, daß wenn es jemals ein moralisch gerechtfertigtes Ziel von Gewalt gegeben hat, sie es sind?

Daß ihre Klage die Klage eines Pilzes, welcher einen Baum befallen hat, darüber ist, daß die Sonne ihn austrocknet?

Doch, das wissen sie genau. Aber sie gehen ihren Weg weinend bis zu seinem Ende.

Daß Nietzsche von einigen so verehrt wird, liegt daran, daß er im Nachhinein so gelesen wird, als wenn er sich auf diese Verhältnisse bezogen hätte. Das hat er aber gar nicht, denn diese Verhältnisse sind in dieser Form neu. Nietzsche hat lediglich als Antwort auf Schopenhauer die Bejahung des Willens nach dessen Voraussetzungen ausbuchstabiert, und darin liegt gar kein Wert, denn Schopenhauer war diesbezüglich nicht völlig aufrichtig, wie er auch selbst andeutet, wenn er sagt, daß, wer mehr im Leben sehe, es doch nicht beweisen könne, weswegen es nicht in die philosophische Diskussion eingehen solle.

Weil das Leben also sinnlos ist, muß der Mensch ihm selber Sinn geben, weil Fortschritt nicht verbürgbar ist, muß man das, was man tut, um seiner selbst willen wollen, selbst in unendlicher Wiederholung noch, deshalb sind gerade jene Freuden die besten, welche primitiv sind, darum soll man sich niemals fragen, welche Konsequenzen die eigenen Taten haben, sondern den Rausch des Augenblicks auskosten und so weiter und so fort.

Und irgendwo am Ende dieses ganzen Rattenschwanzes ergibt es sich halt, daß das Christentum und seine Moral daran schuld sind, daß wir all diese einzig möglichen - und dieser Punkt ist der zentrale der ganzen Argumentation, gestützt auf die inhärente Sinnlosigkeit des Lebens! - paradiesischen Zustände nicht haben.

Wirklich nichts weiter als eine einzige sinnlose formal philosophische Übung, gegründet auf ein vordergründiges Verständnis von etwas verschleiertem.

So ist es natürlich meistens. Mindestens 99% aller Kommentare zu was auch immer sind genau von dieser Art, weshalb Schopenhauer selbst auch ausdrücklich davon abrät, sich auf andere Philosophen zu beziehen und statt dessen anrät, bei der eigenen Wahrheit zu bleiben. Wer will schon studieren, wie Philosophen sich über Generationen in ihren gegenseitigen Mißverständnissen gesuhlt haben?

Aber genau das ist die Universitätsphilosophie natürlich. Die wahre Philosophie besteht schlicht darin, dem Klang der angeschlagenen Glocke zu folgen.

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