Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

18. September 2013

Anmerkungen zum Glasperlenspiel

Dies ist nun ein Buch, welches zu viele besprechenswerte Aspekte hat, als daß ich es in einem Stück lesen sollte, und anschließend bemerken, was mir dann noch als bemerkenswert im Gedächtnis hängen blieb. Denn wohl ist es so, daß ich im Normalfall ein Buch gut genug verstehe und erinnere, um aus seiner zweiten Lektüre keinen Gewinn mehr zu ziehen, ja, die einzigen Gegenbeispiele dieses Normalfalls alte Schriften sind, wie Bibel, Koran, I Ching und so weiter, und das auch nur deshalb, weil sie viele Bilder enthalten, deren Bedeutungen im Laufe der Zeit verloren gegangen sind, doch meine Erinnerung an meine eigenen Assoziationen zu dem gelesenen Text ist bei weitem schwächer, denn diese korrigiere ich sozusagen im Laufe der Lektüre auf ihre Relevanz hin, bis am Ende stets nur ein wenige Sätze langes Fazit übrig bleibt, und so mag es sich vielleicht auch mit dem Leben als Ganzem verhalten, möglicherweise noch zusätzlich durch Demenz zur Knappheit genötigt.

Nun würde ich mich nicht so verhalten, wenn ich ein Feind dieser Kondensation wäre, welche den Äther, den Sinn einer Geschichte herauslöst, aber ich kann bereits an der jetzigen Stelle meiner Lektüre sagen, daß da im Falle des Glasperlenspiels überhaupt nichts übrigbleiben wird, daß diese Herangehensweise der Art dieses Textes nicht gerecht wird, welcher auf die Extension eines Phänomens, nämlich des Geisteslebens, zielt, und nicht auf seinen Kern.

Gut, und selbst wenn am Ende die Moral von der Geschichte sein sollte, daß sich der Geist nicht fangen läßt, sondern stets in Einzelnen neu hervorquellen muß, so ist es doch nicht nötig, sich Hesses Text zur Vergegenwärtigung dessen anzutun.

Sein Wert ist vielmehr der einer Führung durch das eigene Leben, besteht gerade in der Evozierung persönlicher Assoziationen, und diese möchte ich nun bis zu der Stelle
Dorthin schicken die Lehrer bloß die allerdicksten Schanzer und Kriecher.
dokumentieren. (Seite 57 des Suhrkamp Taschenbuchs von '72.)

Gut, aber selbst so sollte ich hier vielleicht nicht alles aufführen, wie etwa, daß sich in Mozarts Musik eher nicht die heitere Bezwingung der Sinnlichkeit erweist, also daß Susanna hier nicht etwa denkt, es wär' zwar schön, aber darauf lass' ich mich nicht ein,

sondern sich vielmehr an Mozarts statt leicht grimmig die Ziellosigkeit der immer gleichen Wirkung des Mondscheins und der lauen Luft vor Augen führt.

Dieses Insistieren auf einer Welterklärung, der Notwendigkeit der Stimmung der Massen, der Umkehrung von Ursache und Wirkung, daß die Musik einer Zeit nicht Ausdruck, sondern Eindruck sei, ist hier schon fürchterlich penetrant, und ich kann das Buch ehrlich gesagt nur lesen, indem ich diese Penetranz willentlich ignoriere.

Aber kommen wir nun zu dem, was es mir lesenswert macht, bisher die Elemente der Kommunikation und der Berufung. Reden wir also davon.

Hesse beschreibt die kulturstiftende Wirkung des gemeinsamen Ringens um schöne Formen. Dabei geht es ihm aber nicht um sein Ziel, also eine Idee der Schönheit, sondern um seine Technik, nämlich die Notwendigkeit des Anknüpfens an die Schöpfungen der Mitstreiter, welche sich am besten als Spiel auffassen läßt, das Glasperlenspiel, welches in seiner einfachsten Form die Begleitung einer Melodie durch eine andere ist.

Übrigens, was ich diesbezüglich selbst zu Stande gebracht habe, ist, denke ich, mehr eine Abbildung eines natürlichen psychologischen Verhältnisses zwischen zwei unterschiedlich gestimmten Personen als eine spielerische Annäherung an das Schöne, aber es ließen sich ja noch weitere Stimmen zu jener kleinen polyphonen Übung hinzufügen.

Das bedeutendste historische Beispiel solcher kulturellen Schöpfung, welches mir auf Anhieb in den Sinn kommt, ist die Wirkung des Fortschrittsgedankens auf die Gliederung des Pflanzen- und Tierreichs, als auch der Evolution des Menschen.

Da sieht man aber auch schon, daß diese Angelegenheit nicht unproblematisch ist. Und wenn die katholische Kirche über die segensreiche Wirkung des Glaubens an die Rückkehr Mariens in den Jungfrauenstand nach der Geburt Jesu Christi schwadroniert, steigt in mir schon der Gedanke an ihre gänzliche Beklopptheit auf, wobei ihre auf die besprochene Angelegenheit verweist.

Aber wenden wir uns besser von konkreten Inhalten ab, und betrachten Hessen gleich lieber Strukturen. In Frankreich findet das Glasperlenspiel öffentlich in der Tradition der Salons statt, in England dienen Oxford und Cambridge als örtliche Foki des Geisteslebens und in Deutschland?

In Deutschland betreibt jeder Verein sein eigenes Glasperlenspiel und schert sich einen Dreck um den Rest der Welt, immer wieder schön zu sehen, wenn irgendwelche Provinzler gegenseitig ihre wichtigen kulturellen Beiträge rühmen, aber auch, wenn Parteien Experten einladen.

Das Interessanteste, was ich diesbezüglich gesehen habe, war noch das Vortragsprogramm der Max Planck Gesellschaft. Letztlich handelt es sich dabei um eine Kontaktbörse und Talentmesse, aber so profan gibt es sich nicht, sondern stimmt in Hesses Lobgesang auf die Bereicherung des Denkens durch seine möglichst mannigfaltige interthematische Verknüpfung ein.

Nur, das stimmt durchaus nicht. Jedenfalls nicht in der Mathematik. Wiles und Perelman sind einsame Menschen, und nicht nur sie. Ich selbst habe in meiner Diplomarbeit wesentlichen Gebrauch von einem Satz gemacht, an welchem Gilles Pisier mehrere Jahrzehnte gearbeitet hat.

Das eigentliche Glasperlenspiel in der Mathematik dient ihren Zwecken und nur ihren Zwecken, es entsteht, wann immer ein Mathematiker von einem Satz hört, welchen er interessant findet. Und so ist es vielleicht auch allgemein, wir alle orientieren uns ja an dem, was wir interessant finden, und dazu bedarf es keiner Behörde und keiner Spielregeln.

Die Angelegenheit ist ehrlich gesagt auch zu wichtig, als daß es sich die Gattung Mensch erlauben könnte, sie nicht instinktiv mit großem Erfolg zu betreiben. Kunstideale samt deren künstlicher Durchsetzung sind vielleicht wirklich nicht mehr als eine problematische Verirrung.

Andererseits gibt es natürlich die weit verbreitete Phantasie der Berufung in einen elitären, staatslenkenden Zirkel, und nur zur Untermauerung dieses Gefühls schließt sich die Max Planck Gesellschaft standardmäßig in Panzerglas ein. Daß dieser so gewonnene Freiraum schnell zu einem Gefängnis wird, liegt auf der Hand, dazu will ich an dieser Stelle nicht mehr sagen. Mir geht es hier nur um die Vermutung der Existenz einer recht geführten Institution, welche eben durchaus verbreitet ist. Nun, aber sie ist natürlich auch plausibel. Es ist ja klar, daß man von einer kleinen, zu diesem Zwecke ausgewählten Minderheit, größere organisatorische Leistungen erwarten kann als von der Allgemeinheit. Und weil sie also schlagkräftig wäre, und Schlagkraft Gewinn bringt, nimmt man also an, daß sie sich auch in einer Institution niedergeschlagen hat.

Und so wird es auch sein, wenn nicht andere Organisationen dies unterbinden.

Das Bett, in welches sich ein Volk legt, wenn es parlametarische Demokratie und freie Marktwirtschaft annimmt, hindert selbstverständlich die Herausbildung von Institutionen, welche der Staatsideologie zuwiderlaufen, und so ist es mit allen Staaten, welche sich einer Ideologie verschreiben, also immer. Natürlicherweise wird also ein Volk eine Staatsideologie danach beurteilen, wie gut ihm die Institutionen gefallen, welche sie hervorbringt und einzig zuläßt.

Hesse denkt freilich an die Freiheit des Geistes, aber dafür ist der Geist zu mächtig, als daß man ihn frei wirken lassen könnte, was er ja andererseits auch einräumt. Das Glasperlenspiel, wenn es als Theater aufgeführt wird, mag zwar am Staat vorbeigehen, aber wenn es das nicht tut, dirigiert es ihn, und soll es ja auch.

Ich ahnte allerdings nie das Gefühl der Beglückung der Berufung im Rahmen meiner akademischen Laufbahn. Wie ich schon sagte, die Mathematik ist mühsam, es bleibt keine Kraft übrig, um Feste des Geistes zu feiern. Wo diese stattfinden, da bleibt die Mathematik zurück. Oder, um es anders zu sagen, die reine Arbeitsgelegenheit durch rechte Zurüstung auf die Aufgabe ist zwar ein großes Geschenk, wird aber nicht so wahrgenommen. Entsprechend findet man alle möglichen Typen von Mathematikprofessoren, welche jeweils in ihrem eigenen Universum arbeiten. Da gibt es den, welcher sein Leben als Gelegenheit begreift, überall das Bestmögliche, wie wenig es auch sein mag, auch tun zu können, was selbstverständlich Ehrfurcht heischt. Andere drehen kindisch ihre Kreise auf dem Rasen und ignorieren die Welt. Wieder andere lassen ihre Eitelkeit eine geistige Elite um sich herum konstruieren, welche es so gar nicht gibt. Und dann gibt es natürlich die Sportsmänner. Das sind die Wenigen. Resignierte Zyniker sind die Vielen.

Und doch empfand ich einmal die Ahnung jenes Glücks, daß es alles leicht sein könnte. Nur, leicht kann nur das lernen sein, nicht das beweisen. Es war also eine vorübergehende Berufung, die Berufung in den Lernzirkel eines Professors, welche auch nicht mir galt, sondern einem anderen, auf welchem sichtbar ihr Glück lag. Mich selbst reizte daran nur die Empfänglichkeit, wie in Hesses Buch dem alten Musikmagister wohl auch die Empfänglichkeit des Josef Knecht gefiel. Sie gibt dem eigenen Gestaltungswillen Resonanz, das macht sie verlockend.

Aber warum sollte die Berufung auch mehr als eine Phase sein? Dies alles ist natürlich genug, und mannigfaltig genug in der Natur realisiert, Hesses Zugriff als Aufgabe heiliger Stiftung irritierend, aber als Assoziationsgerüst fruchtbar.

Labels: , , , , , ,