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13. September 2013

Das Paradoxon des freien Marktes

Ich habe gerade ein bißchen in Salcia Landmanns Marxismus und Sauerkirschen hineingelesen und schon stößt mir die Unbedingtheit ihrer Aussagen übel auf.
die Zerstörung der freien Marktwirtschaft, ohne die es keine geistige und politische Freiheit oder auch nur Wohlstand gibt.
Diese Aussage stimmt vielleicht, aber nur wenn man annimmt, daß es unter keinen Umständen geistige oder politische Freiheit oder auch nur Wohlstand gibt, denn eine freie Marktwirtschaft kann es unter keinen Umständen geben. Es gibt nämlich zwei Freiheiten, welche sich gegenseitig ausschließen, und welche beide zu den Voraussetzungen des freien Marktes gehören.
  1. Freie Verfügung über das Kapital.
  2. Freie Entscheidung über die Teilnahme an Markttransaktionen.
Der Grund dieses Widerspruchs ist die Bedürftigkeit des Menschen, welche bei hinreichender Kapitalbündelung zu seiner Erpreßbarkeit führt, und dies wird ja auch durch die Kartellgesetzgebung berücksichtigt. Ob die allerdings ausreicht, um so etwas wie die Goldene Mitte der Freiheit, beziehungsweise der Unfreiheit zu halten?

Es bestehen sicherlich Bemühungen Machtgleichgewichte zu schaffen, beispielsweise die Preise für Nahrungsmittel so niedrig zu halten, daß nur landwirtschaftliche Großbetriebe überleben können, wodurch die Masse der Bevölkerung in Abhängigkeit von Nahrungsmittellieferungen lebt und die paar übrig gebliebenen Landwirte weder das politische, noch das militärische Gewicht haben, um die Konditionen ihrer Nahrungsmittellieferungen zu ihren Gunsten abzuändern, sollten ihnen diese in Notzeiten diktiert werden.

Und dieses Beispiel ist typisch, es illustriert wie am Ende doch stets die Fähigkeit zur Gewaltanwendung oben schwimmt. Die Landwirtschaft war nicht fähig, ihre Marktmacht im globalen Wettbewerb zu verteidigen, und hat sie also verloren, das heißt sie war nicht fähig, sich global zu koordinieren und zu verhindern, global gegen sich ausgespielt zu werden.

Je näher nun ein Industriezweig dem Militär oder auch dem Geheimdienst steht, desto schwieriger fällt es ihren Beherrschern, ihn gegen sich ausspielen zu lassen und ebenfalls zu beherrschen. Mit anderen Worten wächst in diesen Industriezweigen also eine Oligarchie heran, wie es Platon auch schon vor 2500 Jahren beschrieben hat. Es ist zwar möglich, einzelne relevante Personen unter Druck zu setzen, aber ein real existierendes Industrieunternehmen von militärisch- oder geheimdienstlicher Bedeutung enthält nunmal einen Wissensstamm, welcher das unveräußerliche Eigentum seiner Belegschaft ist, aus welchem Grunde Deutschland auch der rasche Wiederaufstieg nach dem Zweiten Weltkrieg geglückt ist.

Das Problem der Oligarchen nun, laut Platon, besteht darin, sich einen Dreck um den Rest der Menschheit zu scheren, bis die Verführer, und schließlich der Tyrann, das Ruder übernehmen. Vieles von dem sieht man heute nebeneinanderherbestehen. Zugleich die Rücksichtslosigkeit der Mächtigen neben der Verantwortungslosigkeit der politischen Prediger und dem Schwund des moralischen Sinns, auf welchen sich die tyrannische Skrupelosigkeit stützt, welche unter dem Banner der Terrorismusbekämpfung aufzieht.

Das alles ist die freie Entfaltung des Spiels der Kräfte, aber gilt sie der Freiheit des Einzelnen?

So ist es doch nicht. Es sind dynastische Wachstumsphasen. Es ist der Übergang vom Glauben zur Machterhaltung, der ideelle Zykel, die Konkretisierungen des Glaubens.

Was Landmann bejubelt ist der Anfang der oligarchischen Phase, endlich der Timokratie entkommen. Letztlich von geradezu belustigender subjektiver Befangenheit.

Aber kehren wir zum freien Markt zurück. Wie gesagt, Gleichgewichte der einen oder anderen Art zwischen der freien Verfügung über das Kapital und der freien Entscheidung über die Teilnahme an Markttransaktionen, wobei auch Waffen als Kapital betrachtet werden sollten, mit anderen Worten ein Gleichgewicht zwischen Rücksichtslosigkeit und Rücksicht, der eigenen Freiheit und der Freiheit anderer, wird es immer geben, aber, wie wir nun gesehen haben, variiert ihre Grundlage zwischen den Polen Glauben und Macht.

Die Geburt des Christentums bestand darin, Nahrung als Druckmittel zu eliminieren, selbst sich nicht darum zu sorgen und anderen frei abzugeben, aus der Einsicht heraus, daß das Leben unter dem Gesetz des Machtausgleichs seinen Wert verloren hatte. Und von der Art ist die Wiedererstarkung des Glaubens immer. Unser heutiges Problem ist allerdings nicht zuvörderst die Anhäufung vertraglicher Rechte, gegen welche das Christentum, wie im Kaufmann von Venedig beschrieben, die rechte Arznei ist, sondern die Instabilität der Macht, sowohl ihre Flüchtigkeit als auch ihre Konzentration. Seinen Wert, allerdings, verliert das Leben wieder.

Gut, aber ich will hier nicht in die Metaphysik um ihrer selbst Willen abschweifen, sondern es bei der Skizzierung ihres Einflusses auf Freiheitsgleichgewichte belassen. Aus meinem Glauben heraus wäre die Frage über die beiden gegensätzlichen Freiheiten so zu beantworten, wie ich es schon beschrieben habe, nämlich daß genügend viel Kapital dem privaten Zugriff entzogen wird, um mit ihm die Grundbedürfnisse der Menschen zu decken, und umgekehrt genauso genügend viel Kapital im privaten Besitz verbleibt, um dasselbe zu tun, letzteres aber nicht frei handelbar ist, sondern gleich dem eigenen Leib Teil der eigenen Lebensfähigkeit. Und was übrig bleibt bildet den freien Markt. Oder, um es verständlicher zu sagen, daß ein Mensch sowohl einen Anspruch darauf hat, sich aus eigener Kraft zu ernähren, als auch darauf, es in sinnvoller Kooperation mit anderen zu tun. Die Entscheidung darüber sollte aber eine freie sein. Und was ihm dann noch an Kraft und Zeit bleibt, kann er auf freie Unternehmungen verwenden.

Jedwede solche Regelung setzt indes einen gemeinsamen Glauben, mit welchem sie in Einklang steht, voraus. Aus einem Machtausgleich heraus entsteht sie nicht. Und natürlich löst sie auch nicht das angesprochene ideelle Altersproblem unserer Zeit, sondern ist lediglich ein stabiler Grundpfeiler einer neuen Ära, deren Aufkommen insgesamt noch unverständlich bleibt.

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