Bereitschaftsbeitrag

Zur Front

20. September 2013

Gerechtigkeit für Stockhausen

Nicht, daß der gestrige Beitrag inhärent ungerecht gewesen wäre, aber doch etwas einseitig. Denn eigentlich hat mir Stockhausens Vorlesung hier recht gut gefallen.



Die Idee, den Zusammenhang zwischen der Form einer Schallwelle und unserer Auffassung ihrer zu explizieren, ist eine ganz vorzügliche, und ich selbst habe mich bisher zumindest indirekt ebenfalls damit beschäftigt, also mit dem Zusammenhang zwischen unserer Auffassung der Klangfarben und physikalischen Prozessen, welche die zugehörigen Schallwellen erzeugen mögen.

Nun, mir ist bekannt, daß seit Stockhausens Vortrag viel auf diesem Gebiet geleistet wurde, beispielsweise lassen sich Konsonanten, wie man heute weiß, sehr schön am Bild ihres Frequenzspektrums nach Fouriertransformation über Zeitintervallen geeigneter Länge erkennen, was meines Erachtens noch verbesserungswürdig ist, da ihre Visualisierung idealerweise mit der sie erzeugenden Zungenstellung zusammenhängen sollte, gegebenenfalls kombiniert mit dem Beimischen der Stimme, aber wenn nun auch Stockhausens Vortrag gerade hier schwächelt, insofern der Verweis auf die Fouriertransformation, welche schließlich seit 1822 bekannt ist, fehlt, so fand ich doch einige der hier von ihm herausgestellten Unterschiede interessant, insbesondere den zwischen bestimmt und vage, wobei die Idee mit der Permutierbarkeit, oder auch der Zufälligkeit, zugleich ausgesprochen gut, als auch etwas problematisch zu konkretisieren ist, denn natürlich ändern sich auch zufällige Schallwellen dadurch, daß man sie permutiert, nur daß uns diese Änderungen egal sind und außerdem mag auch eine zufällige Schallwellen zufällig einmal bestimmt klingen, nur eben in etwa so häufig, wie eine Affenbande an Schreibmaschinen einen Shakespeare hervorbrächte.

Indes, ich wüßte schon wie ich diese Konkretisierung anzugehen hätte, und da bin ich auch nicht der einzige. Was den Geist von Stockhausens Vortrag insgesamt angeht, so scheint er mir aus der faszinierenden, wenn auch bescheuerten, Idee zu erwachsen, daß am Anfang die Schallwelle war, und dann aus ihren verschiedenen Variationen das Sein, wie wir es heute kennen, erwuchs.

Das ist für sich genommen ein interessantes Thema. Warum sind Ideen, welche einen wesentlichen Aspekt der Realität unterschlagen, aber genügend viele Aspekte derselben bewahren, um für einen bestimmten Zweck brauchbar zu sein, faszinierend?

Nun, warum auch immer das im allgemeinen so ist, hier ist es offensichtlich die Verwechslung von objektiver und subjektiver Existenz, welche die Faszination auslöst, denn subjektiv gesehen stimmt es natürlich, am Anfang war die Schallwelle, und dann lernte unser Verstand in ihr Spuren physikalischer Vorgänge zu entdecken.

Übrigens rühren auch unsere emotionalen Reaktionen auf Klänge, wie Furcht, Freude und so weiter, daher, was ebenfalls ein Feld ist, auf welchem seit Stockhausens Vortrag viel geleistet wurde.

Ich kann also Stockhausen zu diesen Einsichten letztlich nur beglückwünschen, nur daß er dabei ausschließlich philosophisches Talent zeigt, und kein musikalisches. Daß ihm an der Schärfung des Bewußtseins gelegen ist, der Verbesserung der begrifflichen Erfassung, ehrt ihn, aber nur aus dem Wahn heraus, daß am Anfang die Schallwelle gewesen sei, im Sinne objektiver Existenz, ließe sich erklären, warum gerade die begriffliche Erfassung von Klängen zu verbessern sei.

Dabei käme man, wenn man mehr auf die ausgelösten Gefühle abzielte, sogar ziemlich weit in diesem Wahn, nämlich bis zu dem, was uns wesentlich im Leben ist. Das aber wäre der Punkt, an welchem man die Faszination hinter sich lassen müßte und das Floß, auf welchem man sich vom Wahn treiben ließ, anlegen, um festen Boden unter die Füße zu kriegen.

Doch ich weiß schon, daß man davon in Auroville nichts hören will.

Labels: , , ,